Jahresbericht 2018

TNr. 44: Elektronisches Risikomanagementsystem für Einnahmeüberschussrechnungen

Elster-online-Formular
Die Finanzämter bearbeiten die Hinweise des elektronischen Risikomanagements bei Einnahmeüberschussrechnungen nicht sachgerecht. Dadurch entstehen erhebliche Steuerausfallrisiken.


Der ORH empfiehlt dringend, die bestehenden Informations- und Bearbeitungsmängel im Interesse einer vollständigen und gleichmäßigen Besteuerung abzustellen.

Der ORH hat 2016/2017 zusammen mit dem Staatlichen Rechnungsprüfungsamt Ansbach an sechs Finanzämtern die Arbeitsweise bei Steuerfällen mit Gewinnermittlung durch Einnahmeüberschussrechnung für die Jahre 2013 bis 2015 geprüft. Schwerpunkt war die Qualität der Bearbeitung von Hinweisen des elektronischen Risikomanagementsystems.


44.1 Ausgangslage

Steuerpflichtige, die den Gewinn ihres Betriebs nach § 4 Abs. 3 EStG[1] ermitteln, haben zusammen mit ihrer Einkommensteuererklärung elektronisch eine Einnahmeüberschussrechnung in Form der bundeseinheitlichen Anlage EÜR beim Finanzamt einzureichen. Diese enthält für Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben bestimmte mit Kennziffern versehene, komprimierte Datenfelder, die vom Steuerpflichtigen auszufüllen sind und eine ggf. differenziertere Gewinnermittlung nicht berücksichtigen. In der Anlage EÜR ist für das betriebliche Anlagevermögen ein gesonderter Teil vorgesehen, für den aber keine gesetzliche Verpflichtung zur elektronischen Abgabe besteht.

Die Daten der Anlage EÜR werden von der Steuerverwaltung durch ein elektronisches Risikomanagementsystem (RMS) verarbeitet. In Bayern durchläuft bisher gut die Hälfte der jährlich knapp 1,4 Millionen Gewinnermittlungen mit Einnahmeüberschussrechnung das RMS.

Beim RMS prüft ein programmgesteuerter Filter die Daten des Falles auf Plausibilitäten und ermittelt so, ob das Risiko eines Steuerausfalls besteht. Danach entscheidet sich, ob die Festsetzung risikoarmer Fälle vollautomatisch vorgenommen wird oder der Fall punktuell vom Bearbeiter zu prüfen ist. Dazu werden detaillierte Hinweise, in der Regel mehrere pro Fall, mit konkreten Prüfaufforderungen und Bearbeitungsvorgaben ausgegeben.

Unabhängig von Risikogesichtspunkten wird aufgrund gesetzlicher Vorgabe[2] eine hinreichende Anzahl von Fällen als Zufallsauswahl zur vollständigen Überprüfung ausgesteuert.

Ziele des RMS sind sowohl die Optimierung des Ressourceneinsatzes als auch die gleichmäßige Rechtsanwendung. Die Bearbeiter sollen sich auf risikobehaftete Sachverhalte konzentrieren können. Dazu gehört z. B. die Abgrenzung von betrieblichen/beruflichen Aufwendungen zu den privaten Kosten der Lebensführung, insbesondere bei den Kfz-Kosten. Werden die Kosten der privaten Nutzung betrieblicher Pkws in den betrieblichen Bereich verlagert, führt das zur Gewinnminderung.


44.2 Feststellungen

Die Auswertung der Prüfungsergebnisse aus den örtlichen Erhebungen durch den ORH bei den geprüften Finanzämtern zeigte folgendes Ergebnis:

Tabelle 53
Bei den geprüften Finanzämtern zog der ORH aus den Fällen mit Hinweisen eine Stichprobe von 1.146 Hinweisen, die er auf eine sachgerechte Bearbeitung hin untersuchte. Schwerpunkte der Prüfung durch den ORH waren die Zufallsauswahl sowie die private Kfz-Nutzung, während die übrigen Sachverhalte als sonstige Fallgruppe zusammengefasst wurden. Dabei ergab sich Folgendes:

Abb 23
Der ORH stellte fest, dass 2013 bis 2015 in durchschnittlich 57% der von ihm geprüften Hinweise Sachverhalte nicht in gebotenem Umfang aufgeklärt wurden oder die Ermittlungen des Finanzamts nicht ausreichten, um ein potenzielles Risiko und somit einen Steuerausfall auszuschließen.


44.2.1 Erklärung der Besteuerungsgrundlagen

Die Anlage EÜR bildet die Positionen nur sehr verdichtet ab. Um die Datenfelder zu befüllen, müssen die Steuerpflichtigen verschiedene Sachkonten aggregieren. Welche Werte sie dabei zusammenfassen, ist dann nicht mehr erkennbar. Darüber hinaus wurden Datenfelder der Anlage EÜR von den Steuerpflichtigen häufig nicht richtig ausgefüllt.

Der gesonderte Teil der Anlage EÜR für das Anlagevermögen wurde in über 80% der geprüften Fälle nicht übermittelt.

Nach den Feststellungen des ORH reichten 60% der Steuerpflichtigen von sich aus ihre Gewinnermittlung einschließlich des Anlageverzeichnisses zusätzlich in Papierform ein. Diese als Kontennachweise bezeichneten Unterlagen enthielten in der Regel wesentlich ausführlichere Aufgliederungen. Die Finanzämter zogen diese Gewinnermittlungen regelmäßig zur Bearbeitung heran und konnten deshalb von Nachfragen beim Steuerpflichtigen oder dem Anfordern von erläuternden Unterlagen absehen.


44.2.2 Zufallsauswahl

Die zufällig gesteuerte Auswahl von zu überprüfenden Fällen durch das RMS sollte sowohl der Prävention als auch der Qualitätssicherung dienen. Deshalb haben die Finanzämter diese Fälle umfassend und unabhängig von Betragsgrenzen intensiv zu prüfen.

Nach den Feststellungen des ORH geschah dies in 61% der Fälle nicht. Im Regelfall beschränkten sich die Finanzämter auf die Beiziehung der Gewinnermittlung in Papierform. Weitergehende eigene Ermittlungen stellten sie selten an. Insbesondere verzichteten die Finanzämter regelmäßig auf sachverhaltsklärende Anschreiben, telefonische Rückfragen oder einfache Beleganforderungen.


44.2.3 Kfz-Nutzung

Der private Nutzungswert kann nach unterschiedlichen Methoden ermittelt werden. In der Anlage EÜR ist aber lediglich ein Datenfeld mit einer Wertangabe zur privaten Kfz-Nutzung vorgesehen. Ohne zusätzliche Informationen ist die Angabe nicht nachvollziehbar.

Der ORH stellte fest, dass bei über 58% der einschlägigen Hinweise die gebotene Aufklärung unterblieb. Zudem gingen die Finanzämter bei der Überprüfung der
- ohne jegliche Erläuterung zur Ermittlung - erklärten Beträge nicht zielgerichtet vor.


44.3 Würdigung und Empfehlungen

Die mangelnde Bearbeitungsqualität mit hohen Fehlerquoten hält der ORH für nicht akzeptabel. Es drohen erhebliche Steuerausfallrisiken.

Der ORH hat erhebliche Zweifel daran, ob allein die Informationen der Anlage EÜR in der gegenwärtigen Ausgestaltung als Prüfungsgrundlage für die Abarbeitung der Hinweise geeignet sind.

Die Bearbeitungsvorgaben der Hinweise werden zudem unzureichend erfüllt. Eine RMS-konforme Arbeitsweise zwingt - insbesondere im Bereich der privaten Kfz-Nutzung - regelmäßig zu Nachfragen, die aber aus Zeitmangel nicht erfolgen. Das RMS, das zusammengefasste Daten aus der Anlage EÜR analysiert, führt gerade wegen der Zusammenfassung zu zahlreichen Hinweisen. Damit entsteht Mehrarbeit statt Entlastung der Bearbeiter.

Die Ziele des RMS, mit detaillierten Risikohinweisen den Ressourceneinsatz zu optimieren und gleichmäßige Rechtsanwendung zu erreichen, können wegen systematischer Defizite nicht erreicht werden.

Der ORH empfiehlt daher:


44.3.1 Elektronische Übermittlungen forcieren

Grundlage für ein wirkungsvolles RMS ist die Auswertung sämtlicher vorgesehener, mit Kennziffern versehener Datenfelder.

Die Steuerverwaltung sollte darauf hinwirken, dass die Steuerpflichtigen
  • die Datenfelder der Anlage EÜR korrekt ausfüllen,
  • den gesonderten Teil der Anlage EÜR für das betriebliche Anlagevermögen freiwillig elektronisch übermitteln,
  • die herkömmliche Einnahmeüberschussrechnung ergänzend in elektronischer Form übermitteln können, denn die bisherige Vorlage der Papier-Gewinnermittlung stellt einen fehlerträchtigen Medienbruch dar.
Angesichts der erheblichen Zeit- und Arbeitsersparnis für alle Beteiligten sollte die zeitnahe Realisierung dieser Maßnahmen sichergestellt werden.


44.3.2 Fälle der Zufallsauswahl intensiv prüfen

Um das Besteuerungsverfahren als Massenverfahren mit dem RMS durchzuführen, fordert der Gesetzgeber die umfassende Prüfung der zufällig ausgewählten Fälle.

Der ORH hält es daher für unerlässlich, dass diesen Fällen auch besondere Beachtung zukommt, indem die Angaben des Steuerpflichtigen intensiv geprüft werden. Ein potenzielles Risiko bei diesen Fällen sollte auszuschließen sein.


44.3.3 Informationen zur privaten Kfz-Nutzung einfordern

Ein wesentlicher Teil der Hinweise entfällt auf den steuerlich relevanten und betragsmäßig erheblichen Komplex der privaten Kfz-Nutzung.

Die unzureichenden Informationen in der Anlage EÜR ermöglichen es den Finanzämtern nicht, die Besteuerungsgrundlagen angemessen aufzuklären. Ausreichende standardisierte Hilfsmittel für gezielte Nachfragen stehen ihnen nicht zur Verfügung.

Die Steuerverwaltung sollte zeitnah die aufgezeigten Risiken ausschließen und eine gleichmäßige Rechtsanwendung sichern.


44.4 Stellungnahme der Verwaltung

Das Finanzministerium räumt ein, dass die Anlage EÜR in vielen Fällen nicht vollumfänglich und detailliert ausgefüllt sei. Die Steuerverwaltung versuche, diese unbefriedigende Situation kontinuierlich zu verbessern, indem sowohl Steuerpflichtige als auch die Angehörigen der steuerberatenden Berufe dafür sensibilisiert würden.

Der gesonderte Teil der Anlage EÜR für das betriebliche Anlagevermögen sei ab dem Veranlagungszeitraum 2017 verpflichtend elektronisch zu übermitteln.

Die Möglichkeit, die Kontennachweise freiwillig elektronisch zu übermitteln, werde als sinnvoll erachtet, eine bundesweite Umsetzung angestrebt.

Die intensive Prüfung der vom RMS zufällig ausgewählten Fälle werde ebenfalls als notwendig angesehen und soll mit verbesserten verwaltungsinternen Maßnahmen sichergestellt werden.

Bei der privaten Kfz-Nutzung werde die Anregung des ORH aufgegriffen, gezielte standardisierte Hilfsmittel für die Bearbeiter zu schaffen.


44.5 Schlussbemerkung

Der ORH hält die Bearbeitungsmängel sowie die daraus resultierenden Steuerausfallrisiken für nicht hinnehmbar. Die Verwaltung sollte zeitnah geeignete Maßnahmen ergreifen, um die sachgerechte Abarbeitung der Hinweise sicherzustellen. Derzeit sind die Ziele des RMS nicht ausreichend realisiert.

 


[1] Im Wesentlichen Gewerbetreibende gem. § 15 EStG mit einem Gewinn von maximal 60.000 € oder Selbstständige mit Einkünften gem. § 18 EStG unabhängig von der Höhe des Gewinns.
[2] § 88 Abs. 5 Satz 3 AO.