Jahresbericht 2019

TNr. 52: Studienabbrüche

Frustrierter Student; Bild: Idanupong - stock.adobe.com
Der ORH empfiehlt, die Erfassung und Analyse der Daten zu Studienabbrüchen zu verbessern, um diese gerade in den kostenintensiven MINT-Fächern gezielt zu vermindern. Zudem sollten aus Sicht des ORH die vorhandenen Möglichkeiten zur Überprüfung der Studieneignung ausgeschöpft werden.

Der ORH hat 2017 mit dem Staatlichen Rechnungsprüfungsamt Bayreuth die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Vermeidung von Studienabbrüchen an zehn staatlichen Hochschulen geprüft. Prüfungsmaßstab war, ob vor dem Hintergrund des Art. 55 BayHSchG ein effektiver Mitteleinsatz zur Zielerreichung (Art. 6, 7 BayHO) gegeben war. Danach haben Lehre und Studium zum Ziel, die Studierenden auf ein berufliches Tätigkeitsfeld vorzubereiten und ihnen die dafür erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Methoden im jeweiligen Studiengang zu vermitteln.


52.1 Ausgangslage

An den 9 staatlichen Universitäten und 17 Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) in Bayern waren im Wintersemester 2017/18 insgesamt 350.000 Studierende eingeschrieben, davon 101.000 im ersten Fachsemester.

Die Ausgaben pro Studium sind abhängig davon, ob es sich um ein sog. kostenintensives Studium handelt oder nicht. So lagen 2016 beispielsweise deutschlandweit die Ausgaben (Grundmittel) für Lehre und Forschung für ein Studium (universitärer Abschluss) der Mathematik und Naturwissenschaften mit einer Fachstudiendauer von 5,2 Jahren bei 59.400 € oder der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit einer Fachstudiendauer von 5,9 Jahren bei 29.600 €.[1]

In den letzten Jahren erfolgten erhebliche Anstrengungen zugunsten von mehr MINT[2]-Studierenden, da in Deutschland ein erheblicher Bedarf an MINT-Experten besteht. Laut Institut der deutschen Wirtschaft waren im April 2018 bundesweit 143.500 Stellen (Bayern: 29.000) für MINT-Experten offen, die in der Regel eine akademische Ausbildung benötigen.[3]

Bereits 2007 bezifferte der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft die Kosten für Studienabbrecher auf bundesweit 2,2 Mrd. € pro Jahr - der gesamtwirtschaftliche Verlust summiere sich jährlich auf 7,6 Mrd. €.[4] Aktuelle Zahlen zu Kosten und Erträgen von Fachwechseln und Studienabbrüchen sind Gegenstand eines aktuellen Forschungsvorhabens des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH (ZEW).[5]

Eine einheitliche und allgemeingültige Definition des Begriffs "Studienabbrecher“ existiert bisher nicht. Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) versteht unter Studienabbrechern "Exmatrikulierte, die durch Immatrikulation ein Erststudium an einer Hochschule aufgenommen, dann aber das Hochschulsystem ohne erstes Abschlussexamen endgültig verlassen haben“.[6] Nicht als Studienabbruch gelten danach z. B. Studiengangs-, Fach- oder Hochschulwechsel, Unterbrechungen des Studiums.

Demzufolge kann die amtliche Statistik bislang keine bundesweiten Studienabbruchquoten vorlegen, deshalb sind entsprechende Analysen auf statistische Schätzverfahren angewiesen. Alle bisherigen Erkenntnisse über Studienabbrecher basieren auf freiwilligen Angaben Betroffener im Rahmen von Befragungen sowie auf statistischen Berechnungen.[7]

In der Studie des DZHW von 2017 wurden drei zentrale Motive für Studienabbruch festgestellt:

  • Scheitern an den hohen Anforderungen des Studiums bzw. an den fehlenden fachlichen Voraussetzungen,
  • Abbruch wegen mangelnder Studienmotivation,
  • Umorientierung auf eine praktische Tätigkeit.

Für bestimmte Studiengänge/-fächer existieren besondere Qualifikationsvoraussetzungen nach dem BayHSchG. Um "Studienabbrüche“ zu vermeiden, werden vielfältige Ansätze verfolgt. Sie reichen von der Studienberatung (Art. 60 BayHSchG), Online-Selbsttests zur Studienorientierung, Studienverlaufsanalysen bis zur Befragung von Exmatrikulierten.

Darüber hinaus gibt es weitere Maßnahmen zur Verbesserung von Studienbedingungen und der Qualität der Lehre. Diese sollen auch zu einer höheren Studienerfolgsquote beitragen. Zu nennen wären z. B. das "Innovationsbündnis Hochschule“[8] mit den zwischen Freistaat und Hochschulen geschlossenen Zielvereinbarungen oder die zwischen Staatsministerium und der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft initiierten "MINT-Programme“[9].


52.2 Feststellungen

Die geprüften Hochschulen definieren die "Studienabbrecher“ unterschiedlich. Manche lehnen sich an die Definition des DZHW[10] an, andere definieren als Studienabbrecher solche, die aus einem anderen Grund als der Absolvenz exmatrikuliert wurden.

Aus den genannten Gründen (unterschiedliche Begriffsdefinitionen) konnten die von den Hochschulen gelieferten Zahlen nicht zur Berechnung von Abbruchquoten herangezogen werden. Auch der Wissenschaftsrat weist in seinem Positionspapier 2018 darauf hin, dass das Ausmaß von Studienabbrüchen bisher nicht eindeutig erfassbar sei. Die Berechnung von Abbruchquoten basierte bisher auf unterschiedlichen methodischen Ansätzen und führte zu unterschiedlichen Ergebnissen.[11]

Aufgrund dessen stellte der ORH auf Schwundquoten ab. Diese bezeichnen den Anteil der Studienanfänger eines Jahrgangs ohne Abschluss in dem Studienfach, in dem sie sich ursprünglich immatrikulierten. Im Gegensatz zur Abbruchquote umfasst die Schwundquote damit nicht nur Personen, die das Hochschulsystem ohne Abschluss verlassen, sondern auch Studienfach-, Studiengang- und Hochschulwechsler (z. B. gefördert durch die Ziele der Bologna-Reform). Die Schwundquote ist daher in der Regel höher als die Abbruchquote.

Insgesamt wurden die Daten von 356 Studienfächern im Zeitraum vom WS 2011/12 bis SS 2016 ausgewertet. Dabei wurden je Studienjahrgang und Studienfach die Veränderungen der Studierendenzahlen vom sechsten in Bezug zum ersten Fachsemester gesetzt (Schwund in%). Die verglichenen Studienjahrgänge wurden vom ORH in drei Kategorien eingeteilt. Für die Prüfung wurden aus Gründen der Übersichtlichkeit folgende Bezeichnungen verwendet: Geringe Schwundquote (bis 25%), mittlere Schwundquote (über 25 bis 50%) sowie hohe Schwundquote (über 50%).

Betrachtet man die Veränderungen der Studierendenzahlen bis zum sechsten Fachsemester - jeweils in Bezug zum ersten Fachsemester -, so wies im Durchschnitt der geprüften Hochschulen knapp jedes zweite Studienfach (49%) eine mittlere Schwundquote auf. 28% der Fächer verzeichneten hohe, 23% niedrige Schwundquoten.


52.2.1 Vergleich von Schwundquoten

Die nachfolgenden Auswertungen des ORH der 10 geprüften Hochschulen zeigen, dass die Gesamtheit aller "MINT“-Fächer höhere Schwundquoten aufweist als die Gesamtheit aller "Nicht-MINT“-Fächer.

Tabelle 55


52.2.2 Besondere Zugangsvoraussetzungen

Neben dem örtlichen[12] und zentralen[13] Numerus Clausus (NC) sind für bestimmte Studiengänge besondere Zugangsvoraussetzungen vorgeschrieben, nämlich die Eignungsprüfung[14] oder das Eignungsfeststellungsverfahren[15]. Allerdings sind Eignungsfeststellungsverfahren im Hinblick auf die Berufsausbildungsfreiheit nur eingeschränkt möglich.[16]

Wesentliche Erkenntnisse der Auswertungen waren für das erste bis sechste Fachsemester im Zeitraum vom WS 2011/12 bis zum SS 2016:

  • Studienfächer/-gänge ohne Zulassungsbeschränkung verzeichneten an den Universitäten schwerpunktmäßig (54%) hohe Schwundquoten, an den HAW schwerpunktmäßig (59%) mittlere Schwundquoten.
  • Studienfächer/-gänge mit örtlichem NC verzeichneten an den Universitäten schwerpunktmäßig (48%) geringe Schwundquoten, an den HAW schwerpunktmäßig (51%) mittlere Schwundquoten. Insgesamt war der Anteil mit hoher Schwundquote gering (16%).
  • Studiengänge mit zentralem NC verzeichneten schwerpunktmäßig (60%) geringe Schwundquoten. Hohe Schwundquoten gab es nicht.
  • Studienfächer mit vorgeschriebener Eignungsprüfung[17] verzeichneten schwerpunktmäßig (75%) geringe Schwundquoten. Hohe Schwundquoten gab es nicht.
  • Eignungsfeststellungsverfahren gab es in 13 gewerteten Studienfächern/-gängen. Nur in einem Studienfach wurden hohe Schwundquoten festgestellt. Jeweils sechs Studienfächer/-gänge hatten geringe bzw. mittlere Schwundquoten.


Zum 01.01.2017 wurde das Studienorientierungsverfahren[18] eingeführt, das zwar keine Auswirkungen auf den Hochschulzugang hat, aber der Selbsteinschätzung über die Studienwahl dienen soll. Das Verfahren regeln die Hochschulen durch Satzung.


52.3 Würdigung und Empfehlungen


52.3.1 Vergleich von Schwundquoten

Der Begriff "Studienabbrecher“ ist bisher nicht eindeutig definiert. Der ORH hat sich für die Berechnung von Schwundquoten entschieden, weil sich Abbruchquoten mit den bisherigen Verfahren nicht einheitlich und exakt ermitteln lassen.

Der Vergleich von Schwundquoten im MINT-Bereich zu denen von Nicht-MINT-Fächern zeigt, dass deutlich höhere Schwundquoten festzustellen sind. 89% aller MINT-Fächer haben mittlere und hohe Schwundquoten. Aus Sicht des ORH ist deshalb plausibel, dass hohe Schwundquoten bei den MINT-Fächern tendenziell auch hohe Abbruchquoten beinhalten.

Nach Auffassung des ORH sollten allerdings auf der Grundlage einer einheitlichen Begriffsdefinition Studienabbruchquoten ermittelt werden. Möglichst klare Datenlagen sind Voraussetzung für Erfolgsermittlung und daran anschließende gezielte Maßnahmen.


52.3.2 Besondere Zugangsvoraussetzungen

Besondere Zugangsvoraussetzungen sind zwar grundsätzlich ein geeignetes Mittel, um die Schwundquoten und damit auch die Zahl der Studienabbrecher gering zu halten. Zulassungsbeschränkungen unterliegen wegen der Ausbildungs- und Berufsfreiheit jedoch strengen Restriktionen und können nicht beliebig ausgeweitet werden.[19]

Das Studienorientierungsverfahren soll der Selbsteinschätzung über die Studienwahl dienen. Der ORH empfiehlt dem Ministerium darauf hinzuwirken, dass die Hochschulen dieses Instrument einsetzen und dessen Wirksamkeit überprüfen.


52.4 Stellungnahme der Verwaltung

Das Ministerium weist darauf hin, dass Studienabbruchquoten nicht mit Schwundquoten vergleichbar seien. Letztere stellten keinen geeigneten Indikator für den Studienerfolg oder die Qualität des hochschulischen Bildungsangebots dar. Das Ministerium habe das Bayerische Staatsinstitut für Hochschulforschung gebeten, die Wirksamkeitsmessung von Maßnahmen zur Verbesserung des Studienerfolgs an staatlichen Hochschulen in Bayern in sein Arbeitsprogramm 2019 aufzunehmen. Das Institut führe derzeit mehrere Projekte zum Thema "Studienabbruch“ durch.

Zu den besonderen Qualifikationsvoraussetzungen teilt das Ministerium die Bewertung des ORH. Zum Thema "Studienorientierungsverfahren“ werde man die Erfahrungen der Hochschulen einholen und bewerten. Sofern sich die Studienorientierungsverfahren als effektive Maßnahme erweisen, werde sich das Ministerium für die fortgesetzte Ausweitung verstärkt einsetzen.


52.5 Schlussbemerkung

Aus Sicht des ORH ist aufgrund der deutlich unterschiedlichen Schwundquoten zwischen MINT- und Nicht-MINT-Fächern plausibel, dass hohe Schwundquoten bei den MINT-Fächern tendenziell auch hohe Abbruchquoten beinhalten. Der ORH empfiehlt, die Erfassung und Analyse der Daten zu verbessern, um Studienabbrüche gerade in den kostenintensiven MINT-Fächern gezielt zu vermindern.

Zudem sollten aus Sicht des ORH die vorhandenen Möglichkeiten zur Überprüfung der Studieneignung ausgeschöpft werden.

 


[1] Quelle: Stat. Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.32, S. 324.
[2] Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.
[3] MINT-Frühjahrsreport 2018  (https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Gutachten/PDF/2018/MINT-
[4] Vgl. https://his-he.de/meta/presse/detail/news/studienabbruch-staat-vergeudet-jaehrlich-22-milliarden-euro (abgerufen am 21.11.2018).
[5] Vgl. https://www.zew.de/de/forschung/analysen-zu-kosten-und-ertraegen-von-fachwechsel-und-studienabbruch (abgerufen am 21.11.2018).
[6] Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (Hg.): Zwischen Studienerwartungen und Studienwirklichkeit, Forum Hochschule 1/2017 S. 8.
[7] Vgl. Fn. 6.
[8] Beschluss des Bayer. Landtags vom 11.05.2005, LT-Drs. 15/3392, vgl. auch das Innovationsbündnis vom 17.07.2018.
[9] "Wege zu mehr MINT-Absolventen“, "Erfolgreicher MINT-Abschluss an bayer. Hochschulen/BestMINT“, "MINTerAK
[10] Vgl. TNr. 52.1.
[11] Positionspapier "Hochschulbildung im Anschluss an den Hochschulpakt 2020“, S. 23.
[12] Art. 3 BayHZG.
[13] § 1 und Anlage 1 HZV.
[14] Art. 44 Abs. 2, 3 BayHSchG.
[15] Art. 44 Abs. 4 BayHSchG.
[16] VGH München, Beschluss vom 22.12.2009 – 7 CE 09.2466; siehe ergänzend zum Teilhaberecht an staatlich finanzierten Studienangeboten BVerfG, Urteil vom 19.12.2017 – 1 BvL 3/14 und 4/14.
[17] Art. 44 Abs. 2 BayHSchG.
[18] Art. 44 Abs. 5 BayHSchG.
[19] Vgl. auch VGH München, Beschluss vom 22.12.2009 - 7 CE 09.2466.