Jahresbericht 2023

TNr. 51 Steuerliche Auswirkungen des Bezugs von Kurzarbeitergeld während der Corona-Pandemie

Bis zu 1 Mio. Arbeitnehmer in Bayern sind nach Bezug von Kurzarbeitergeld in der Corona-Pandemie erstmals verpflichtet, eine Steuererklärung abzugeben. Der ORH hält es aus Gründen der Steuergerechtigkeit für nicht hinnehmbar, dass mehrere hunderttausend Pflichtveranlagungen systematisch von der Überwachung ausgenommen werden, darunter auch viele Erstattungsfälle. Kritisch sieht er vor allem, dass dies aufgrund einer bundesweit lediglich verwaltungsintern abgestimmten Aufgriffsgrenze erfolgt, die die gesetzlich festgelegte um ein Vielfaches überschreitet.

Der ORH empfiehlt für die Zukunft, dass sich das Finanzministerium für eine Erhöhung dieser seit 1958 unveränderten bundesgesetzlichen Grenze von 410€ einsetzt. Dies würde Bürokratie abbauen und die Steuerverwaltung nicht nur vorübergehend, sondern langfristig und rechtssicher entlasten.

Der ORH hat 2021/2022 mit dem Staatlichen Rechnungsprüfungsamt Ansbach in einer Querschnittsuntersuchung die steuerlichen Auswirkungen des Bezugs von Kurzarbeitergeld während des ersten Jahres der Corona-Pandemie geprüft. Insbesondere hat er untersucht, wie sich die Steuerverwaltung auf die vielen zusätzlichen Einkommensteuer (ESt)-Veranlagungen 2020 vorbereitet und die Grundsätze der gleichmäßigen und gesetzmäßigen Besteuerung beachtet hat. Der ORH hat dazu sämtliche Lohnsteuerbescheinigungen (LStB) 2020 und ergänzend die an sieben Finanzämtern (FÄ) durchgeführten ESt-Veranlagungen 2020 mit Kurzarbeitergeld vollelektronisch ausgewertet.


51.1 Ausgangslage

Die Corona-Pandemie hat zu massiven Beeinträchtigungen auf dem Arbeitsmarkt geführt. Zur Unterstützung der durch erheblichen Arbeits- und Entgeltausfall betroffenen Arbeitnehmer wurden die wesentlichen gesetzlichen Regelungen zum Kurzarbeitergeld vorübergehend1 (bis zum 30.06.2022) geändert. Dies führte zu einem enormen Anstieg der Empfänger von Kurzarbeitergeld: In 2020 bezogen dieses 1,5 Mio. Arbeitnehmer in Bayern.

Abbildung 25


Der jeweilige Arbeitgeber weist das Kurzarbeitergeld, das er für die Agentur für Arbeit an seine Beschäftigten auszahlt, in der jährlichen LStB aus. Als Lohnersatzleistung ist das Kurzarbeitergeld zwar steuerfrei,2 unterliegt aber dem sog. Progressionsvorbehalt.3 Dies bedeutet: ausschließlich für die Ermittlung des persönlichen Steuersatzes wird das Kurzarbeitergeld den steuerpflichtigen Einkünften fiktiv zugerechnet. Da mit steigendem Einkommen auch der Steuersatz steigt (Progression), ergibt sich dadurch ein höherer Steuersatz.

Dieser erhöhte Steuersatz wird auf das übrige steuerpflichtige Einkommen (ohne das Kurzarbeitergeld) angewendet.

Arbeitnehmer, die ausschließlich Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit beziehen, sind nicht zur Abgabe einer ESt-Erklärung verpflichtet. Nur wenn sie freiwillig (auf Antrag) eine Steuererklärung einreichen, teilt ihnen das Finanzamt eine Steuernummer (StNr.) zu und führt eine ESt-Veranlagung durch (sog. Antragsveranlagung).

Erhalten diese Arbeitnehmer allerdings zusätzlich Kurzarbeitergeld oder andere dem Progressionsvorbehalt unterliegende Lohnersatzleistungen4, die den Betrag von 410€ übersteigen, sind sie gem. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet (sog. Pflichtveranlagung). Nur in diesen Fällen erfolgt eine elektronische Überwachung der Erklärungsabgabe auch im folgenden Veranlagungszeitraum (VZ).


51.2 Feststellungen


51.2.1 Auswertung von Lohnsteuerbescheinigungen

Nach Ablauf des Kalenderjahres übermittelt der Arbeitgeber die LStB des Arbeitnehmers elektronisch an die Steuerverwaltung. Bei der ESt-Veranlagung wird diese durch das FA zum Abgleich mit den vom Steuerpflichtigen (Stpfl.) erklärten Daten abgerufen. Nicht abgerufene LStB verbleiben im Status „offen“.


51.2.1.1 Nachgelagerter Aufgriff offener Lohnsteuerbescheinigungen

Das Landesamt für Steuern (LfSt) prüft einige Zeit nach dem jeweiligen VZ, bisher i.d.R. drei Jahre nach Ablauf des VZ, die offenen LStB. Mit einem maschinellen Rechenlauf überprüft es, ob die offenen LStB aufgriffsrelevante Lohnersatzleistungen für eine Pflichtveranlagung enthalten, also insbesondere Lohnersatzleistungen wie Kurzarbeitergeld über 410€. Diese Freigrenze ist seit 1958 der Höhe nach unverändert5 im EStG geregelt.

Die Ergebnisse werden den zuständigen FÄ zur weiteren Bearbeitung übermittelt. Betroffene Stpfl. werden daraufhin i.d.R. zur Erklärungsabgabe aufgefordert. Die Zahl der nachträglich aufzugreifenden LStB war in der Vergangenheit jährlich annähernd gleich hoch. Auf Basis der Rechenläufe für die VZ 2016 bis 2018 mussten in den Arbeitsvorrat der FÄ jeweils rd. 34.000 Fälle elektronisch übernommen werden.


51.2.1.2 Lastenheft als Verfahrensgrundlage

Die Kriterien für einen Aufgriff im Rahmen des Rechenlaufs sind in einem bundesweit fachlich abgestimmten Lastenheft festgelegt. Abweichend von der in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG festgelegten Pflichtveranlagungsgrenze von 410€ wurde darin eine deutlich höhere interne Aufgriffsgrenze festgelegt. Das erfolgte mit der Begründung, dass erst ab einem bestimmten Mindestbetrag von Lohnersatzleistungen eine relevante Auswirkung auf den Steuersatz erreicht werde.


51.2.2 Rechenlauf Veranlagungszeitraum 2020

Zur Ermittlung der noch offenen Pflichtveranlagungen gab das LfSt im Dezember 2021 einen Rechenlauf für den erstmals von einer erhöhten Zahl von Kurzarbeitergeldempfängern betroffenen VZ 2020 in Auftrag. Das im Februar 2022 vorliegende Ergebnis lieferte 214.000 zu erwartende Fälle: 134.000 Fälle bei Arbeitnehmern mit einer StNr. aus einer früheren steuerlichen Erfassung, für die nach dem 06.04.2022 maschinelle Erinnerungsschreiben zur verpflichtenden Erklärungsabgabe angestoßen werden sollten; 80.000 Fälle bei Arbeitnehmern ohne StNr., die zeitnah steuerlich zu erfassen und von den Bearbeitern in das maschinelle Erinnerungssystem einzupflegen wären. Die Zahl der zu erwartenden Fälle lag damit trotz der vielfach höheren internen Aufgriffsgrenze bei mehr als dem 6 fachen des durchschnittlichen Aufkommens der vorangegangenen VZ.


51.2.3 Besonderheiten Veranlagungszeitraum 2020 aufgrund der Vorgaben im Lastenheft

Der ORH wertete die von der Steuerverwaltung angeforderten LStB 2020 mit einem Eintrag zu Lohnersatzleistungen über 410€ aus. Demnach erhielten in Bayern 1,54 Mio. Stpfl. Kurzarbeitergeld mit einem Volumen von 4,25 Mrd.€. Ein Teil davon entfiel auf Stpfl., die nicht in Bayern, sondern in einem anderen Bundesland steuerlich erfasst waren. Für bayerische Stpfl. ergab sich folgende Aufteilung:

Tabelle 77
1,21 Mio. (83%) der 1,45 Mio. LStB, die knapp die Hälfte des ausgezahlten Kurzarbeitergelds beinhalteten, waren aufgrund der höheren Aufgriffsgrenze im Lastenheft nicht in den Rechenlauf (siehe TNr. 51.2.2) einbezogen worden. Etwa 11,5% (27.807) der 241.000 LStB über der Aufgriffsgrenze waren zum Zeitpunkt des Rechenlaufs bereits veranlagt und damit nicht mehr als „offen“ gekennzeichnet.


51.2.3.1 Einkommensteuer-Veranlagungen bei den geprüften Finanzämtern

Der ORH analysierte zum Stichtag 07.10.2021 bei sieben FÄ knapp 130.000 durchgeführte ESt-Veranlagungen des VZ 2020 von Arbeitnehmern mit Kurzarbeitergeld. Bei diesen ohne Aufforderung durch das FA bereits eingereichten Pflichtveranlagungen lag der Anteil der ESt-Veranlagungen, bei denen der Betrag des Kurzarbeitergelds die Aufgriffsgrenze unterschritten hatte, bei fast 75%. Zu Erstattungen führten 78% dieser Fälle und 22% zu Nachzahlungen.


51.2.3.2 Fälle unterhalb der Aufgriffsgrenze

Das LfSt konnte keine Angaben dazu machen, wie viele Arbeitnehmer mit Kurzarbeitergeld wegen der höheren Aufgriffsgrenze nicht im Rechenlauf enthalten waren und welche steuerlichen Auswirkungen erwartbar sind. Der ORH wertete deshalb 976 zufällig6 ausgewählte LStB 2020 mit Kurzarbeitergeld über 410€ und unterhalb der Aufgriffsgrenze des Rechenlaufs aus. Um eine Datenbasis zu den steuerlichen Auswirkungen (Erstattungen oder Nachzahlungen) zu erhalten, untersuchte er zum einen bereits durchgeführte ESt-Veranlagungen. Zum anderen führte er eigene Probeberechnungen für die offenen und damit nicht veranlagten Fälle des VZ 2020 durch. Er untersuchte dabei insbesondere 696 Fälle ohne Pflichtveranlagungstatbestand im VZ 2019, bei denen der maschinelle Anstoß zur Überwachung des nachfolgenden VZ 2020 nicht gegeben war:

Tabelle 78
Bei den bereits erfolgten ESt-Veranlagungen überwogen die Erstattungen deutlich. Nach den vom ORH vorgenommenen Probeberechnungen für die 355 nicht veranlagten Steuerfälle ergäben sich etwa zu zwei Drittel Nachzahlungen und zu einem Drittel Erstattungen.

Der Anteil der Fälle ohne Pflichtveranlagung im VZ 2019 betrug 71%. Hochgerechnet auf die gesamten LStB von Stpfl. in Bayern würden sich für den VZ 2020 geschätzt bis zu 850.0007 neue, zusätzliche Pflichtveranlagungen unter der Aufgriffsgrenze ergeben. Vermindernd zu berücksichtigen ist dabei aber u.a., dass ein Teil der Stpfl. bereits aus anderen Gründen zur Abgabe einer ESt-Erklärung verpflichtet ist, auf einen Stpfl. auch mehrere LStB entfallen können und Ehegatten zusammen veranlagt werden. Gleichwohl geht der ORH nach einer groben Schätzung von 400.000 bis 500.000 zusätzlichen Pflichtveranlagungen aus.


51.2.3.3 Auswirkung auf den Personaleinsatz

Insgesamt rechnete das LfSt bisher zum 01.01.2020 für den VZ 2020 mit 3.180.527 Arbeitnehmerveranlagungen. Dies entspricht 2.238 Steuerfällen, die jeder der 1.421 Bearbeiter in den Arbeitnehmerstellen abzuwickeln hat. Für die vom LfSt bereits zur Bearbeitung übermittelten zusätzlichen 214.000 Steuererklärungen würden rechnerisch 97 Vollzeitarbeitskräfte zur Abarbeitung binnen eines Jahres benötigt. Die Berücksichtigung von weiteren zusätzlichen ca. 400.000 bis 500.000 Fällen mit Kurzarbeitergeld unter der Aufgriffsgrenze müsste rechnerisch eine Erhöhung um mindestens weitere 200 Vollzeitarbeitskräfte zur Folge haben.


51.3 Würdigung und Empfehlungen

Die derzeit geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen stellen die Steuerverwaltung vor eine enorme Herausforderung. Eine reguläre Abarbeitung aller zusätzlichen Pflichtveranlagungen ist aus Sicht des ORH mit den vorhandenen Ressourcen nicht möglich.

Die Arbeitsweise der Verwaltung, bei der Ermittlung der zu überprüfenden Fälle eine höhere als die gesetzlich festgelegte Aufgriffsgrenze anzuwenden, ist zwar vor dem Hintergrund eines möglichst effizienten Personaleinsatzes nachvollziehbar. Die im Lastenheft vorgegebene höhere Aufgriffsgrenze steht aber in eindeutigem Widerspruch zur Pflichtveranlagungsgrenze des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG. Der ORH sieht insoweit erhebliche Verstöße gegen wesentliche Besteuerungsgrundsätze.

Auswahlkriterien für Rechenläufe müssen sich nach Auffassung des ORH grundsätzlich eng an den gesetzlichen Rahmenbedingungen orientieren. Dies folgt schon aus den Grundsätzen der Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 Satz 1 AO). Nach § 88 AO besteht zwar die Möglichkeit, Sachverhaltsermittlungen an Wirtschaftlichkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen auszurichten. Die Steuerverwaltung bleibt dabei allerdings an die o. a. allgemeinen Besteuerungsgrundsätze gebunden.

Die in § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG geregelte Freigrenze von 410€ soll ausweislich der Gesetzesbegründung gerade Pflichtveranlagungen ohne oder mit nur geringen Steuernachforderungen vermeiden. Der Gesetzgeber hat also damals eine Abwägung getroffen, ab welcher Höhe Lohnersatzleistungen im Rahmen einer ESt-Veranlagung zu berücksichtigen sind.

Nach Auffassung des ORH ist deshalb aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht hinnehmbar, wenn aufgrund der für die Rechenläufe gesetzten höheren Aufgriffsgrenze mehrere hunderttausend Pflichtveranlagungen systematisch von der Überwachung ausgenommen werden. Dies widerspricht dem Sinn und Zweck der unverändert geltenden Freigrenze des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG und ist von § 88 AO nicht gedeckt. Das gilt umso mehr, als die für die Veranlagung benötigten Daten den FÄ in elektronischer Form zur Verfügung stehen und weitere Ermittlungen zu den wesentlichen Besteuerungsgrundlagen deshalb nicht erforderlich sein dürften.

Zudem hätte etwa ein Drittel der Stpfl. mit Erstattungen rechnen können. Gemäß § 85 Satz 2 AO hat die Steuerverwaltung insbesondere auch sicherzustellen, dass Steuererstattungen und Steuervergütungen nicht zu Unrecht versagt werden. Der ORH sieht deswegen gerade bei Erstattungsfällen die Rechtsstaatlichkeit des Verwaltungshandelns gefährdet, wenn unter Berufung auf Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte (§ 88 Abs. 2 und 3 AO) auf die Anforderung der Steuererklärungen verzichtet wird.

Aus Sicht des ORH sollte sich der Freistaat deshalb für eine Erhöhung der seit Jahrzehnten unveränderten gesetzlichen Freigrenze des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG einsetzen. Bei einer Anpassung entsprechend der Steigerungen der Verbraucherpreise läge diese Freigrenze für Pflichtveranlagungen aktuell bei etwa 2.000€.8 So wäre für die Zukunft eine rechtssichere Grundlage geschaffen. Zudem ließe sich der enorme personelle Mehraufwand für die Verwaltung reduzieren. Im Ergebnis wären auch Empfänger von Kurzarbeitergeld entlastet, da in sehr vielen Fällen die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung entfiele.

Die offenen Pflichtveranlagungen im VZ 2020 sollten nach Ansicht des ORH durchgeführt werden. Grundsätzlich hält es der ORH zwar für zielführend, die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung konsequent und ggf. auch mittels Zwangsgeldes einzufordern. Bei der Masse an offenen Pflichtveranlagungen im VZ 2020 würde dies allerdings zu einem erheblichen Arbeitsaufwand für Steuerverwaltung und Steuerpflichtige führen. Angesichts der pandemiebedingten Ausnahmesituation regt der ORH deshalb an, ausnahmsweise eine frühzeitige Veranlagung durch Schätzung von Amts wegen zu prüfen. Bei vielen Fällen dürften der Steuerverwaltung dafür nämlich alle relevanten Daten bereits elektronisch vorliegen und damit effizient zu verarbeiten sein. Zu prüfen wäre insbesondere, inwiefern eine Vielzahl an Fällen auf diesem Weg vollautomatisch veranlagt werden könnte.


51.4 Stellungnahme der Verwaltung

Das Finanzministerium teilt mit, eine bayerische Initiative im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Jahressteuergesetz 2020 habe vorgesehen, den Bezug von Lohn- und Einkommensersatzleistungen vorübergehend für die VZ 2020 und 2021 durch einen Freibetrag von 6.000€ vom Progressionsvorbehalt freizustellen. Im Bundesrat habe sich dazu keine Mehrheit gefunden.

Das Finanzministerium verweist auf die Notwendigkeit, einen Schwellenwert als Aufgriffsgrenze im Lastenheft zu benennen. Dabei habe es sich um eine bundeseinheitliche Entscheidung gehandelt, die in Anbetracht von über 60 Mio. LStB und Lohnersatzleistungen je VZ nach einer rein wirtschaftlichen Betrachtungsweise festgelegt worden sei. Eine abweichende landeseigene Aufgriffsgrenze sei nicht möglich.

Aus Sicht der Steuerverwaltung sei es zielführender, vor einer Schätzung zunächst die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten des (maschinell unterstützten) Zwangsgeldverfahrens auszuschöpfen, um die Abgabe der ausstehenden Steuererklärungen zu erreichen. Nach den bisherigen Erfahrungen sei das Instrument des Zwangsgeldverfahrens hierfür regelmäßig geeigneter als die Durchführung einer Schätzung. Zudem bestehe das Risiko, eine Vielzahl an Einspruchsverfahren zu produzieren, die wiederum die angestrebte Zeitersparnis bei der Fallbearbeitung deutlich reduzieren würden.


51.5 Schlussbemerkung des ORH

Bis zu 1 Mio. Arbeitnehmer in Bayern sind nach Bezug von Kurzarbeitergeld in der Corona-Pandemie erstmals verpflichtet, eine Steuererklärung abzugeben. Der ORH hält es aus Gründen der Steuergerechtigkeit für nicht hinnehmbar, dass mehrere hunderttausend Pflichtveranlagungen systematisch von der Überwachung ausgenommen werden, darunter auch viele Erstattungsfälle. Dies erfolgt aufgrund einer bundesweit lediglich verwaltungsintern abgestimmten Aufgriffsgrenze, die die gesetzlich festgelegte um ein Vielfaches überschreitet.

Aus Sicht des ORH sollten die noch offenen LStB 2020 unterhalb der Aufgriffsgrenze über Rechenläufe ermittelt und in Abstimmung mit Bund und Ländern geprüft werden, wie diese Fälle überwacht und abgearbeitet werden können. Jedenfalls für Erstattungsfälle sollte eine frühzeitige Veranlagung durch Schätzung von Amts wegen geprüft werden; das Risiko einer Vielzahl von Einsprüchen dürfte hier gering sein.

Der ORH empfiehlt, dass sich das Finanzministerium für eine Erhöhung der seit 1958 unveränderten gesetzlichen Pflichtveranlagungsgrenze von 410€ gem. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG einsetzt. Dies würde Bürokratie abbauen und die Steuerverwaltung nicht nur vorübergehend, sondern langfristig und rechtssicher entlasten.



[1] Gesetz zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld vom 13.03.2020 (BGBl. I 2020 S. 493).
[2] § 3 Nr. 2a EStG.
[3] § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a EStG.
[4] Gem. § 32b EStG, wie z.B. Arbeitslosen-, Kranken- oder Mutterschaftsgeld.
[5] Damals 800 DM (siehe S. 483 BGBl. 1958 Teil I S. 473); die Verbraucherpreise haben sich seitdem bis März 2022 lt. Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamts um knapp 500% erhöht.
[6] Auswahl von 1.000 LStB; davon entfielen 24 LStB auf StNr. außerhalb Bayerns und wurden nicht weiter untersucht.
[7] 71% von 1.212.370 LStB mit Kurzarbeitergeld.
[8] Statistisches Bundesamt - Verbraucherpreisindex: Die Verbraucherpreise haben sich seit 1958 bis März 2022 auf 495% erhöht.