TNr. 47 Gerichtliches Mahnverfahren

Der ORH hat 2021/2022 zusammen mit den Staatlichen Rechnungsprüfungsämtern Regensburg und Augsburg das zivilrechtliche Mahnverfahren aus den Jahren 2019 und 2020, in Teilen bis 2021 beim Zentralen Mahngericht in Coburg geprüft. Prüfungsmaßstab waren Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit.
47.1 Ausgangslage
Zivilrechtliche Ansprüche lassen sich mit dem gerichtlichen Mahnverfahren1 im Vergleich zum Klageweg vereinfacht durchsetzen. Auf Antrag eines Gläubigers erstellt das zuständige Mahngericht einen Mahnbescheid und stellt diesen dem Schuldner zu. Sofern dieser keinen Widerspruch einlegt, erlässt es auf Antrag des Gläubigers einen Vollstreckungsbescheid, der 30 Jahre lang vollstreckbar ist.
Der Ministerrat beauftragte 1998 das Justizministerium, beim Amtsgericht Coburg ein Zentrales Mahngericht für Bayern einzurichten. Seit 2001 werden dort alle Mahnverfahren in Bayern zentral bearbeitet, 2020 gab es fast 650.000 Mahnanträge.
Das Mahnverfahren wird mithilfe einer bundeseinheitlichen Software weitgehend automatisiert abgewickelt. Das Mahngericht in Coburg bedient sich für deren Betrieb sowie zum Druck und Versand der Bescheide eines nichtstaatlichen Rechenzentrums. Diesem stellt das Justizministerium eine eigene Doppelkuvertierungsanlage zum automatischen Versand von Postzustellungsurkunden zur Verfügung.
Bundesweit gibt es neben dem Mahngericht in Coburg elf weitere Mahngerichte. Die Länder treffen sich jährlich zu einem Informationsaustausch im Anwenderkreis „Automatisiertes gerichtliches Mahnverfahren“.
47.2 Feststellungen
47.2.1 Mahnanträge und Kosten
Die Zahl der Mahnanträge ging im Vergleich zu 2004 von 1.485.559 um 57% auf 644.352 in 2020 zurück.
Im Auftrag des Justizministeriums waren 2004 sämtliche Kosten des Mahnverfahrens detailliert erfasst worden, diese wurden aber in den Folgejahren nicht mehr fortgeschrieben. Ein Vergleich der Kosten von 2004 mit den vom ORH für 2019 und 2020 erhobenen Kosten in Bayern ergab Folgendes:
Die Gesamtkosten je Mahnantrag lagen 2004 bei 17,11€ und 2020 bei 17,06€.
Die Personalkosten je Mahnantrag stiegen 2020 im Vergleich zu 2004 von 3,47 auf 7,31€, also um 110,6%. Dies war nur teilweise auf die gestiegenen Personaldurchschnittskosten zurückzuführen, die sich im gleichen Zeitraum um 43% erhöhten.
Ein Teil der Sachkosten entfiel auf die Zahlungen für den IT-Betrieb (inkl. Druck und Versand) an das nichtstaatliche Rechenzentrum; deren Anteil an den Sachkosten betrug 2004 8% und 2020 33%. Die Kosten pro Antrag erhöhten sich um 189%.
Die Kosten für Postzustellungsurkunden verminderten sich im Zeitraum zwischen 2004 und 2020 von 5,60 auf 2,61€.
Im Rahmen des jährlichen Informationsaustauschs der Länder zum Mahnverfahren hatten zwei Länder ein Benchmarking2 zu den Kosten je Mahnantrag vorgeschlagen. Dies wurde mehrheitlich, auch von Bayern abgelehnt.
47.2.2 Softwarebetrieb, Druck und Versand
Einige Länder konsolidierten die Bearbeitung der Mahnanträge und den Betrieb der bundeseinheitlichen Software inkl. Druck und Versand. So gibt es deutschlandweit zwölf Mahngerichte. Die dafür benötigte Software wird in sechs Rechenzentren mit angeschlossenen Druckzentren betrieben; drei dieser Zentren arbeiten jeweils ausschließlich für ein Land, darunter ein nichtstaatliches für Bayern.
In Bayern kostete 2001 der Softwarebetrieb inkl. Druck und Versand 1,40 Mio.€ jährlich. Seit 2004 stiegen die Kosten um 46% auf zuletzt jährlich 2,05 Mio.€. Damit waren teilweise Leistungserweiterungen verbunden. Von 2004 bis 2020 ging die Zahl der Mahnanträge um mehr als die Hälfte zurück. Rechnerisch stiegen damit die Kosten pro Mahnantrag von 1,10 auf 3,18€, also auf fast das Dreifache.
Ein Bundesland hatte 2012 die Übernahme des Betriebs der Software, des Drucks und des Versands den anderen Ländern angeboten; die Kosten lagen dort 2010 bei 0,60€ pro Mahnantrag. Bayern, wo die eigenen Kosten pro Mahnantrag bereits 2004 bei 1,10€ lagen, nahm dies aber nicht an.
47.2.3 Personaleinsatz
Betrug der Anteil der Papiervordrucke 2004 noch 38% des Gesamtantragsaufkommens, so machten Papieranträge 2020 nur noch 1% des Antragsvolumens aus. 90% der gestellten Anträge werden automatisiert verarbeitet, ohne dass Arbeitskräfte zur Sachbearbeitung eingeschaltet sind.
Nach der weitgehenden Automatisierung bearbeitete eine Arbeitskraft im Jahr 2020 30,2% weniger Mahnanträge als in 2004.
47.2.4 Auslandsmahnverfahren
Das Aufkommen der Auslandsmahnverfahren3 in Bayern ist seit Jahren stark rückläufig. Seit 2004 ist der Antragseingang um ca. 62% von 3.250 auf 1.241 Fälle im Jahr 2021 gesunken.
In Deutschland wurden 2021 schätzungsweise noch knapp 10.000 Auslandsmahnverfahren durchgeführt. Eine bundesweite Zentralisierung der Sachbearbeitung wurde bisher nicht geprüft.
Insgesamt waren in Bayern 2021 mit der Bearbeitung der Auslandsfälle zehn Arbeitskräfte (Rechtspfleger, Mitarbeiter der Service-Einheit) mit einem Zeitanteil von 8,13 VZK befasst. Bei 1.241 Auslandsanträgen 2021 entfielen auf einen Rechtspfleger rechnerisch 3,6 Bearbeitungsfälle pro Arbeitstag. Bei den Mitarbeitern der Service-Einheit fielen zur Zeit der örtlichen Erhebungen 1,1 Bearbeitungsfälle pro Arbeitstag an. Dieser Personaleinsatz entwickelte sich seit 2019 wie folgt:

47.3 Würdigung und Empfehlungen
47.3.1 Kosten
Die 2004 ermittelten Kosten für das gerichtliche Mahnverfahren wurden in den Folgejahren nicht mehr fortgeschrieben. Seitdem fehlt ein wertvolles Instrument, um auf Kostenentwicklungen reagieren zu können.
Zwischen 2004 und 2020 stiegen die Personalkosten um 110,6% und die Rechenzentrumskosten um 189% pro Mahnantrag. Der ORH empfiehlt angesichts dieser Entwicklungen, die Kosten für das Mahnverfahren regelmäßig zu ermitteln und auch anhand eines bundesweiten Benchmarks Wirtschaftlichkeitspotenziale zu erschließen. Die für das Mahnverfahren bundesweit geltenden Vorgaben der ZPO und die einheitliche Software dafür lassen es für länderübergreifende Leistungsvergleiche4 als sehr gut geeignet erscheinen. Der ORH empfiehlt, das voranzutreiben.
47.3.2 Softwarebetrieb, Druck und Versand
Angesichts der massiv gestiegenen Kosten beim Softwarebetrieb, Druck und Versand wären wirtschaftlichere Alternativen dringend zu prüfen, z.B. die Verlagerung auf bzw. Vergabe an ein anderes Rechenzentrum oder die Kooperation mit einem anderen Bundesland. Der ORH sieht hier dringenden Handlungsbedarf.
47.3.3 Personaleinsatz
Obwohl seit 2004 die Automationsunterstützung weiter ausgebaut worden und die Quote der elektronisch eingehenden Anträge um 35% stark gestiegen ist, hat eine Arbeitskraft 2020 rechnerisch 30% weniger Mahnanträge bearbeitet als 2004. Der Personalbedarf sollte zeitnah überprüft und angepasst werden.
47.3.4 Auslandsmahnverfahren
Der sehr hohe Personaleinsatz wurde über Jahre hinweg nicht dem Rückgang des Antragseingangs angepasst. Die durchschnittliche Bearbeitung von rechnerisch täglich 3,6 Fällen je dafür eingesetzten Rechtspfleger und von 1,1 Fällen je Mitarbeiter der Service-Einheit im Jahr 2021 ist ein unwirtschaftlicher und umgehend korrekturbedürftiger Personaleinsatz. Der ORH empfiehlt zudem, eine länderübergreifende zentrale Bearbeitung der Auslandsmahnverfahren anzustoßen.
47.4 Stellungnahme der Verwaltung
Das Justizministerium teilt mit, es habe die Anregung zu einem Benchmarking mit den anderen Ländern im Anwenderkreis eingebracht. Dort sei sie erneut abgelehnt worden.
Das Justizministerium prüfe aktuell eine Verlagerung des Rechenzentrumsbetriebs zum Rechenzentrum-Nord der Steuerverwaltung (RZ-Nord). Hier sei noch eine Vielzahl an Details zu klären, insbesondere die Kuvertierung von Postzustellungsurkunden. Eine abschließende Stellungnahme hierzu sei noch nicht möglich.
Es habe bereits bei dem Bundesland, das 2012 eine Zusammenarbeit angeboten hatte, bezüglich einer Kooperation nachgefragt. Dieses wolle nun keine neuen Kunden mehr annehmen.
Sollte in Bayern die Übernahme durch das RZ-Nord nicht realisierbar sein, beabsichtigt das Justizministerium eine Neuausschreibung des Betriebs inkl. Druck und Versand. Wegen der Erstellung der notwendigen Ausschreibungsunterlagen komme ein Vertragsbeginn zum 01.01.2025 in Betracht.
Das Justizministerium erläutert, dass die Zahl an Anträgen auf Berichtigung und Erteilung von Rechtsnachfolgeklauseln oder zweiter vollstreckbarer Ausfertigungen in den letzten Jahren durch den Stamm der vorhandenen Altverfahren (Stand September 2022: 12.480.000) stetig gestiegen sei. Diese Aufgaben müssten von den Sachbearbeitern zeitaufwendig bearbeitet werden. Alleine 2022 seien bis zum Stand 07.12.2022 15.828 Rechtsnachfolgeklauseln zur Bearbeitung angefallen. Die rechtliche Bewertung sei nicht selten komplex und dem Rechtsmittel zugänglich (sofortige Beschwerde zum Landgericht Coburg). Die förmlichen Entscheidungen seien individuell und ausführlich schriftlich zu begründen. Eine höhere Zahl von elektronischen Eingängen an Anträgen bedinge daher nicht zwangsläufig einen niedrigeren Personaleinsatz. Zudem seien in den letzten beiden Monaten die Zahl der Mahnanträge wegen der schlechten Wirtschaftslage und der hohen Energiepreise deutlich gestiegen. Diese Entwicklung müsse beobachtet werden; es sei davon auszugehen, dass bei dauerhaft steigenden Zahlen kein Personal eingespart werden könne.
Nach Angaben des Justizministeriums sei 2022 von ca. 999 Auslandsmahnverfahren auszugehen. 2022 seien 1,84 Rechtspfleger und 4,4 Mitarbeiter in der Service-Einheit Ausland eingesetzt worden. Wegen der hohen Zahl krankheitsbedingter Ausfälle in der Service-Einheit seien im Jahr 2022 1,27 Neuanlagen am Tag pro Beschäftigten angefallen. Die Bearbeitung der Auslandsverfahren sei langwierig und durch Rechtsänderungen, wie z.B. den Brexit, stetigen Veränderungen unterworfen. Die Eigenverantwortung sei hoch, es handele sich nicht um reine Schreibtätigkeiten.
Das Justizministerium bewertet den Vorschlag, Zuständigkeiten für Auslandsmahnverfahren in Deutschland zu bündeln, grundsätzlich als sinnvoll, verweist aber auf die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers. Die Personalausstattung im Auslandsmahnverfahren werde fortlaufend situationsbedingt dem Arbeitsanfall angepasst.
47.5 Schlussbemerkung
Die Personalausstattung beim Mahnverfahren ist in Bayern angesichts weit fortgeschrittener Automatisierung und stark rückläufiger Anträge deutlich zu hoch. Dass bei Auslandsmahnverfahren ein Mitarbeiter der Service-Einheit bei weiterhin rückläufigen Eingangszahlen rechnerisch 1,27 Fälle pro Tag erledigt, ist deutlicher Hinweis auf eine personelle Überbesetzung.
Bisher wurde nur die Kooperation mit einem Bundesland geprüft, die Kooperationsmöglichkeiten auch mit anderen Bundesländern sollten ebenfalls in Betracht gezogen werden. Ebenso sollte eine Verlagerung an das RZ-Nord geprüft werden. Der ORH empfiehlt, den Personaleinsatz zu reduzieren und Maßnahmen zur Senkung der Kosten beim Softwarebetrieb, Druck und Versand im Mahnverfahren zu ergreifen.
[1] §§ 688 bis 703d ZPO.
[2] Vergleich anhand definierter Kennzahlen.
[3] Mahnverfahren mit Zustellung im Ausland oder nach dem NATO-Truppenstatut.
[4] Art. 91d GG.