Jahresbericht 2023

TNr. 45 Abführung von Zwangsgeldern durch die Landratsämter

Dem Freistaat entgingen Einnahmen von über 1 Mio.€, weil Landratsämter Zwangsgelder nicht an den Freistaat abführten. Weder sie noch die zuständigen Aufsichtsbehörden hatten Kenntnis zur tatsächlichen Höhe der vereinnahmten Zwangsgelder. Der ORH empfiehlt, durch Fehlerbehebung und Schulung des Personals die ordnungsgemäße Abführung von Zwangsgeldern sicherzustellen und so die finanziellen Interessen des Freistaates zu wahren.

Der ORH hat 2021 zusammen mit den Staatlichen Rechnungsprüfungsämtern Augsburg und Ansbach bei 28 von insgesamt 71 Landratsämtern die Einnahmen aus staatlichen Zwangsgeldern geprüft, die diese als Staatsbehörde erheben und dann vollständig an die Staatskasse abzuführen haben. Der Prüfungszeitraum umfasste dabei die Jahre 2015 bis 2019, teilweise auch weitere Jahre. Wesentlicher Prüfungsmaßstab war der ordnungsgemäße und einheitliche Verwaltungsvollzug und dabei insbesondere, ob die vollständige Abführung der Zwangsgelder an den Freistaat erfolgte.


45.1 Ausgangslage


45.1.1 Zwangsgelder als Mittel des Verwaltungszwangs

Zwangsgeld1 ist im Verwaltungsrecht eines von mehreren Mitteln der Vollstreckung, um über den damit drohenden Vermögensnachteil eine Handlung, Duldung oder Unterlassung eines Verpflichteten durchzusetzen. Seine Höhe liegt nach den gesetzlichen Vorgaben zwischen 15 und 50.000€. Wird das Verlangte nicht fristgerecht erfüllt, wird das Zwangsgeld fällig.

Die Landratsämter setzen im Rahmen ihrer fachlichen Aufgaben eigene, IT-gestützte Fachverfahren (z.B. für das Baurecht und Führerscheinrecht) sowie für damit zusammenhängende Zahlungen IT-gestützte Finanzverfahren für die haushaltstechnische Abwicklung ein. Einheitliche oder vom Staat für alle Landratsämter vorgegebene Verfahren gibt es nicht. Sowohl Fachverfahren wie Finanzverfahren müssen zwischen Einnahmen, die dem jeweiligen Landkreis oder dem Freistaat zustehen, unterscheiden und dies bei der Verbuchung korrekt abbilden. Dabei ist auch zu gewährleisten, dass Zwangsgelder ordnungsgemäß an den Freistaat abgeführt werden.

45.1.2 Einnahmen der Landratsämter als untere Staatsbehörde

Alle 71 Landratsämter erfüllen als Staatsbehörden (sog. Kreisverwaltungsbehörden) staatliche Aufgaben. Daneben nehmen sie als Kreisbehörden Aufgaben des eigenen und des übertragenen Wirkungskreises der Landkreise wahr.

Die sieben Regierungen sind zur staatlichen Aufsicht über die Landratsämter berufen. Bei Staatsaufgaben umfasst die staatliche Aufsicht sowohl die Rechts- als auch die Fachaufsicht. Im eigenen Wirkungskreis der Landkreise beschränkt sich diese auf die Rechtsaufsicht; im übertragenen Wirkungskreis können sie zudem Weisungen erteilen.

Zwangsgelder, die die Landratsämter für ihre Amtshandlungen als Staatsbehörde erheben, sind Staatseinnahmen. Sie sind laut Gesetz zur Übertragung staatlicher Kassengeschäfte auf die Landkreise2 vollständig an den Freistaat abzuführen.

Allerdings wird der Großteil der Einnahmen, die die Landratsämter für ihre Amtshandlungen als Staatsbehörde erheben, den Landkreisen vom Staat als Finanzzuweisungen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs überlassen.3 Diese Einnahmen stammen etwa aus Gebühren, Auslagen, Verwarnungsgeldern und Geldbußen.


45.2 Feststellungen

Der ORH wertete die Einnahmen aller 71 Landratsämter aus Zwangsgeldern im Zeitraum 2015 bis 2019 aus und prüfte diese bei 28 Landratsämtern, die risikoorientiert ausgewählt wurden. Dabei erklärten eine Reihe von Landratsämtern, dass eine nähere Auswertung der Einnahmen nach einzelnen Aufgabengebieten, für die jeweils unterschiedliche IT-Fachverfahren eingesetzt werden, u. a. wegen des damit verbundenen hohen Verwaltungsaufwands nicht leistbar sei.

Um breitere Erkenntnisse zu Fehlerquellen bei der Sachbearbeitung zu gewinnen, prüfte der ORH zudem in jedem der sieben Regierungsbezirke4 die Abführung von Zwangsgeldern bei jeweils einem der geprüften Landratsämter; dazu ging er jeweils zehn Einzahlungen, also 70 Einzelbuchungen nach.


Einnahmen aus staatlichen Zwangsgeldern

Entsprechend den Buchungen im Staatshaushalt entwickelten sich die Einnahmen aller 71 sowie der näher geprüften 28 Landratsämter aus Zwangsgeldern in den Jahren 2015 bis 2019 wie folgt:5

Tabelle 69


Insgesamt sind die Einnahmen aus Zwangsgeldern stetig angestiegen und haben sich von 2015 bis 2019 mehr als verdoppelt.


45.2.1 Ordnungsgemäße Erfassung und Abführung der Zwangsgelder

Zwangsgelder, die die Landratsämter als Staatsbehörden erheben und vereinnahmen, sind von anderen, den Landkreisen zustehenden Einnahmen, getrennt zu erfassen. Dies gilt auch in Fällen, in denen in einem Bescheid neben Zwangsgeldern noch andere Zahlungen festgesetzt sind. Letztere können z.B. Gebühren für den Widerruf einer Waffenbesitzkarte oder Bußgelder für die Errichtung baulicher Anlagen ohne erforderliche Genehmigung sein. Bei 11 der geprüften 28 Landratsämter stellte der ORH fest, dass diese Trennung von Zwangsgeldern und anderen Zahlungen wegen unzutreffender Konfiguration der IT-Verfahren über Jahre hinweg nicht ausreichend sichergestellt war. Das war sowohl bei einzelnen Fachverfahren als auch bei Finanzverfahren der Fall.

In der Folge wurden vereinnahmte Zwangsgelder von 9 der geprüften 28 Landratsämter entweder gar nicht oder nur unvollständig an den Freistaat abgeführt. Zwei der neun Landratsämter führten im Prüfungszeitraum keinerlei Einnahmen aus Zwangsgeldern an den Freistaat ab; sie wurden im Kreishaushalt vereinnahmt. Allein die im Prüfungszeitraum 2015 bis 2019 bei den 28 Landratsämtern festgestellte Einnahmeverkürzung zulasten des Freistaates belief sich auf insgesamt 840.000€. Für einen Zehnjahreszeitraum von 2012 bis 2021 ermittelten die geprüften Landratsämter insoweit einen Betrag von 1,4 Mio.€.

Für die vergangenen zehn Jahre können Ansprüche wegen dieser entgangenen Einnahmen geltend gemacht werden.6 Auf Basis der Prüfungsergebnisse geht der ORH für alle 71 bayerischen Landratsämter von einer insgesamt höheren Einnahmeverkürzung zulasten des Freistaates aus.

Demgegenüber wurden von zwei Landratsämtern andere, dem Landkreis zuzuordnende Einnahmen, irrtümlich als Zwangsgelder an den Freistaat weitergeleitet. Die im Rahmen der Prüfung festgestellte Einnahmeverkürzung zulasten der Landkreise betrug 170.000€.


45.2.2 Prüfung von 70 Einzelbuchungen

Eine Zufallsstichprobe der Belege zu zehn Einzelbuchungen bei je einem ausgewählten Landratsamt aus jedem der sieben Regierungsbezirke bezog sich jeweils auf alle Aufgabengebiete, in denen die Landratsämter Einnahmen aus Zwangsgeldern an den Freistaat abgeführt haben.

Auch bei den geprüften 70 Fällen der Stichprobe ergaben sich Fehler bei der Zuordnung der Einnahmen: Der ORH stellte fest, dass die korrekte buchungstechnische Erfassung durch die Sachbearbeiter und damit die zutreffende Trennung der staatlichen Zwangsgelder von landkreiseigenen Einnahmen in 4 von 70 Stichprobenfällen (6%) nicht sichergestellt war. Im Ergebnis kam es zu Fehlleitungen der Zahlungen zulasten des Freistaates, aber auch zulasten der Landkreise, also in beide Richtungen.

Beispiele:

  • In einem Fall wurde eine fehlerhafte Kostenverfügung erstellt und das Zwangsgeld nur teilweise den staatlichen Einnahmen zugeordnet.
  • In einem Fall wurde ein Restbetrag nach einer Zwangsgeldrückzahlung fehlerhaft zulasten des Landkreises verrechnet.
  • In zwei Fällen wurden Einnahmen, die dem Landkreis zuzuordnen gewesen wären, versehentlich als Zwangsgelder vereinnahmt und an den Freistaat abgeführt.
Die fehlerhafte Zuordnung der Zwangsgelder zum Kreishaushalt bzw. von anderen Einnahmen zum Staatshaushalt ergab sich sowohl aufgrund der unzutreffend konfigurierten Fach- und Finanzverfahren, wie auch bei der fachlich unzureichenden täglichen Sachbearbeitung.


45.2.3 Rechts- und Fachaufsicht

In 11 von 28 geprüften Landratsämtern waren die korrekte Zuordnung sowie Abführung der Zwangsgelder nicht im erforderlichen Umfang sichergestellt. Bei diesen 11 Landratsämtern sind weder die unzutreffenden Einstellungen in den Fach- und Finanzverfahren noch die daraus resultierende jahrelange teilweise oder komplette Nichtabführung der Gelder aufgefallen oder haben Anlass zu Korrekturen gegeben.

Den Regierungen als Fachaufsichtsbehörden sind die Nichtabführungen bzw. unvollständigen Abführungen von Zwangsgeldern nicht aufgefallen.

Auch die Feststellungen des Kommunalen Prüfungsverbands im Jahr 2019 bei einem Landkreis, der überhaupt keine Zwangsgelder abgeführt hatte, lösten bei den für die Aufsicht zuständigen Stellen keine Reaktion, insbesondere keine weitergehende Nachfrage aus.7


45.3 Würdigung und Empfehlungen


45.3.1 Ordnungsgemäße Erfassung und Abführung der Zwangsgelder

Für den Einsatz automatisierter Verfahren für die Ermittlung von Ansprüchen und Zahlungsverpflichtungen schreibt staatliches wie kommunales Haushaltsrecht vor, dass Daten vollständig und richtig einzugeben und zu verarbeiten sind.8

Für eine ordnungsgemäße Vereinnahmung der Zwangsgelder ist es unverzichtbar, festgestellte Einnahmeverkürzungen durch Korrekturbuchungen rückwirkend abzuwickeln. Dies sollte unverzüglich erfolgen, da der Geldzahlungsanspruch des Staates zehn Jahre nach seiner Entstehung erlischt.

Der im Prüfungszeitraum 2015 bis 2019 bei den 28 Landratsämtern ermittelte Schaden, der dem Freistaat durch die Nichtabführung der Zwangsgelder entstanden ist, beträgt 840.000€. Abgeführt wurden statt der tatsächlich vereinnahmten 5,04 Mio.€ lediglich 4,2 Mio.€; dies entspricht bei den geprüften Landratsämtern einem Anteil von 17%. Angesichts dessen ist es aus Sicht des ORH erforderlich, die eingesetzten Fach- sowie Finanzverfahren in allen 71 Landratsämtern zu überprüfen und ggf. zu berichtigen.

Entsprechend der Vielzahl von Prüfungsfeststellungen und angesichts der Zahl nicht geprüfter Landratsämter ist davon auszugehen, dass die tatsächlich dem Freistaat für 2015 bis 2019 zustehenden Einnahmen aus staatlichen Zwangsgeldern weit über den abgeführten 9,2 Mio.€ liegen. Der ORH empfiehlt deshalb, die tatsächlichen Einnahmen aller 71 Landratsämter aus Zwangsgeldern zu ermitteln und sämtliche ggf. notwendigen Korrekturbuchungen in beide Richtungen sowohl beim Freistaat als auch bei den Haushalten der Landkreise anzustoßen.


45.3.2 Prüfung von 70 Einzelbuchungen

In Anbetracht der festgestellten Fehler bei den Stichproben und des dafür erheblichen Korrekturaufwands empfiehlt der ORH, dass die Sachbearbeiter an den Landratsämtern künftig besser geschult werden.


45.3.3 Rechts- und Fachaufsicht

In Zusammenhang mit der Abführung von Zwangsgeldern haben die Regierungen ein fachaufsichtliches Informations-, Prüfungs- und Weisungsrecht gegenüber den Landratsämtern. Aus dem Integrierten Haushalts- und Kassenverfahren des Freistaates ist ersichtlich, ob und in welcher Höhe die Landratsämter Einnahmen aus Zwangsgeldern abgeführt haben. Der ORH empfiehlt, diese Erkenntnisquelle zu nutzen.

Zudem empfiehlt der ORH, neben der Fehlerbehebung die ordnungsgemäße Abführung von Zwangsgeldern sicherzustellen und so die finanziellen Interessen des Freistaates zu wahren.


45.4 Stellungnahme der Verwaltung

Das Innenministerium bestreitet die Feststellungen des ORH nicht und führt aus, dass diese zum Anlass genommen werden sollten, die Regierungen und die Landratsämter auf die Unterschiedlichkeit der Zahlungsströme im Bereich der Zwangsgelder und Gebühren hinzuweisen. Dabei solle auch die Verantwortung der Landkreise für die ordnungsgemäße Zuordnung und den Einsatz automatisierter Verfahren herausgestellt werden. Ebenso solle der Vollzug der im Rahmen dieser Prüfung festgestellten notwendigen Korrekturbuchungen sowie eine Überprüfung der Vollständigkeit der Zwangsgeldeinnahmen hinsichtlich der Aufgabengebiete veranlasst werden. Dabei bedürfe es auch unter Berücksichtigung der kommunalen Aufbewahrungsfristen noch der Prüfung, für welche Zeiträume ein Anspruch bestehe. Außerdem sollten die Landratsämter gebeten werden, auf die Vollständigkeit der Zwangsgeldeinnahmen zu achten. Weiter sollten die Regierungen veranlasst werden, ihre Auskunfts- und Prüfmöglichkeiten künftig wahrzunehmen und ggf. Auffälligkeiten nachzugehen.

Die Zuständigkeit für den ordnungsgemäßen Einsatz automatisierter Zahlungsverfahren liegt nach Auffassung des Innenministeriums letztendlich ausschließlich bei den Landkreisen als unmittelbare und originäre Pflicht. Es sieht daher eine aufsichtliche Überprüfung auf die Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt.


45.5 Schlussbemerkung

Der ORH teilt nicht die Ansicht des Innenministeriums, dass die vorrangige Zuständigkeit für die ordnungsgemäße Abführung des Zwangsgelds an den Staatshaushalt und die Funktionsfähigkeit der eingeführten IT-Systeme bei den Landkreisen als Kommunen liegt. Die Verantwortung für die Staatseinnahmen trägt aber der Freistaat. Deshalb sollte er darauf drängen, dass die Landratsämter die staatlichen Aufgaben in vollem Umfang erfüllen; dabei muss er sich auch auf die fachaufsichtlichen Befugnisse bei der kassentechnischen Abwicklung durch die Landkreise stützen. Insbesondere ist sicherzustellen, dass alle notwendigen Korrekturen an den IT-Einstellungen der Fach- und Finanzverfahren veranlasst werden, um zumindest künftig einen korrekten Vollzug bei den Landratsämtern zu gewährleisten.

Die Einschränkung von Korrekturbuchungen lediglich auf die in der Prüfung festgestellten Mängel ist nach Auffassung des ORH offensichtlich unzureichend. Für die letzten 10 Jahre sollten bei allen 71 Landratsämtern die fehlerhaften Buchungen identifiziert und die notwendigen Korrekturen gebucht werden.

Trotz eindeutiger gesetzlicher Regelungen buchen die Landkreise die Einnahmen aus staatlichen Zwangsgeldern nicht ordnungsgemäß und nachvollziehbar. Wegen der jahrelangen Nichtabführung bzw. unvollständigen Abführung blieben dem Staatshaushalt über viele Jahre hinweg insgesamt Einnahmen in Millionenhöhe vorenthalten.



[1] Art. 29 ff., insbesondere Art. 31 VwZVG.
[2] Kassen-Übertragungsgesetz.
[3] Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, 5 BayFAG.
[4] Diese 7 wurden aus den 28 Landratsämtern ausgewählt.
[5] Auswertung der Einnahmen aus Zwangsgeldern aus dem staatlichen Haushalts- und Kassenverfahren Kap. 03 09 Tit. 112 02.
[6] Art. 71 AGBGB i. V. m. § 3 Abs. 3 AVÜG.
[7] Vgl. Hinweise zu Tabelle 69.
[8] Anlage 3 Nr. 3c zu den VV zu Art. 79 BayHO, § 37 Abs. 1 Nr. 2 KommHV-Kameralistik, § 33 Abs. 1 Nr. 2 KommHV-Doppik.