TNr. 57 Investitionen in die Staatsstraßen

Der ORH hat sich 2021/2022 auf Grundlage der Ergebnisse seiner früheren Prüfungen1 erneut mit dem Erhaltungs- und Ausbauzustand der Staatsstraßen befasst. Dabei ging es insbesondere um die wirksame Steuerung der hierfür eingesetzten Mittel und die transparente sowie die umfassende Darstellung der Ergebnisse. Prüfungsmaßstab war die Wirtschaftlichkeit der Investitionen in die Staatsstraßen.
57.1 Ausgangslage
Der Freistaat ist Baulastträger für das Staatsstraßennetz mit 14.000 km Fahrbahnen und 7.100 Bauwerken; etwa drei Viertel davon sind Brücken, ein Viertel sind Stützmauern, Tunnel, Trog- und Lärmschutzbauwerke. Der Ausbauzustand des historisch gewachsenen Netzes entspricht vor allem hinsichtlich Linienführung und Tragfähigkeit der Fahrbahnen nur teilweise dem geltenden technischen Regelwerk. Für die bauliche Bestandserhaltung der Fahrbahnen hatte der ORH in seinem Bericht 2019 (TNr.35) einen Nachholbedarf von mehr als 2 Mrd.€ ermittelt.
Das Bauministerium unterscheidet in seinen Veröffentlichungen zu Staatsstraßen die drei Investitionsbereiche Ausbauplan, Erhaltung und Sonstiger Um-/Ausbau2:
Von 2011 bis 2021 investierte der Freistaat knapp 3 Mrd.€ in die Staatsstraßen:
Der Haushaltsansatz3 wurde in den letzten Jahren auf 350 Mio.€ pro Jahr erhöht. Aufgrund der Haushaltssperre lagen die Ausgaben 2021 bei 303 Mio.€.
In der Abbildung 30 nicht enthalten sind staatliche wie kommunale Ausgaben für Baumaßnahmen, die die Kommunen im Staatsstraßennetz mit staatlicher Förderung durchführten. Seit 1999 können auch Kommunen den Bau von Ortsumgehungen und Radwegen sowie Knotenpunktumbauten an Staatsstraßen übernehmen und finanzieren. Der Freistaat unterstützt sie dabei mit Fördermitteln4. Der Haushaltsansatz hierfür stieg von jährlich 17,9 Mio.€ (1999) auf 33,9 Mio.€ (2021). So wurden von 2011 bis 2021 zusätzlich 400 Mio.€ in die Staatsstraßen investiert, davon 90 Mio.€ kommunale und 310 Mio.€ staatliche Mittel.
57.2 Feststellungen
Das Bauministerium geht nach überschlägiger Schätzung von einem stark steigenden Investitionsbedarf im Staatsstraßenbau aus, mit folgender Verteilung auf die drei Investitionsbereiche:
57.2.1 Ausbauplan
Der Ausbauplan für die Staatsstraßen stellt die Ausbauziele der Staatsregierung maßnahmenbezogen dar. Der derzeit gültige 7. Ausbauplan (Stand: 01.01.2011) enthält 666 Projekte (vgl. Tabelle 85) in unterschiedlichen Dringlichkeitsstufen.
Künftig will das Bauministerium den Ausbauplan in veränderter Form und reduziert auf die Projekte der Projektart „Netzausbau“ weiterführen (vgl. Tabelle 87). Dagegen sollen die Projekte der Projektart „Bestand“ nach fachlichen Gesichtspunkten und Programmen umgesetzt und den beiden anderen Investitionsbereichen Erhaltung bzw. Sonstiger Um-/Ausbau zugeordnet werden:
57.2.1.1 Umsetzung des 7. Ausbauplans 2011 bis 2020
Der derzeit gültige 7. Ausbauplan hat einen Finanzbedarf für mehrere Jahrzehnte. Von den 666 Projekten sollten von 2011 bis 2020 die 253 Projekte der 1. Dringlichkeit (Gesamtlänge: 537 km), mit einem staatlichen Kostenanteil von 1 Mrd.€, gebaut werden.
Bis Ende 2020 waren von den dringlichsten 253 Projekten 107 (42%) mit einer Länge von 221 km (41%) fertiggestellt oder in Bau. Obwohl weitere 146 Projekte in 1. Dringlichkeit eingestuft sind, wurden 46 Projekte (102 km) aus nachrangigen Dringlichkeitsstufen vorgezogen. Das Bauministerium bezieht die vorgezogenen nachrangigen Projekte, die z.T. auch von den Kommunen bezahlt wurden, bei der Berechnung des Umsetzungsgrads des 7. Ausbauplans ein; damit kommt es auf einen Umsetzungsgrad von 60%, sowohl nach Projektzahl als auch nach Länge.
Als Kosten aller 253 Projekte der 1. Dringlichkeit sah der Ausbauplan durchschnittlich 1,9 Mio.€/km vor. Die tatsächlichen Kosten der von 2011 bis 2020 gebauten 153 Projekte betragen durchschnittlich 2,9 Mio.€/km. Ende 2020 lagen die Kosten für die geplanten Projekte bei durchschnittlich 4,0 Mio.€/km5 und somit mehr als doppelt so hoch wie im Ausbauplan. Die Kosten für Ortsumgehungen lagen Ende 2020 bei durchschnittlich 4,6 Mio.€/km6.
57.2.1.2 Weiterführung des 7. Ausbauplans - Netzausbau
Der weitergeführte7 7. Ausbauplan soll künftig nur noch die Projekte enthalten, die dem Netzausbau dienen (vgl. Tabelle 87); das sind weit überwiegend Neubauten von Ortsumgehungen.8 Das Bauministerium geht von 250 Netzausbau-Projekten aus; diese sind z.T. schon im 7. Ausbauplan enthalten oder bereits zusätzlich zur Aufnahme vorgeschlagen. Das bisher vorliegende Konzept des Bauministeriums zur Weiterführung des Ausbauplans als Ausbauplan/Netzausbau benennt für dessen Umsetzung weder ein voraussichtliches Kostenvolumen noch Zeitziele. Nach den Auswertungen des ORH zu aktuellen Kosten von Ortsumgehungen würden 250 Projekte voraussichtlich mehr als 3,3 Mrd.€ kosten.9
Bei dieser Reduzierung auf die Projektart Netzausbau (Neubau) und damit einhergehend deutlicher Verringerung der Gesamtprojektzahl im weitergeführten Ausbauplan geht das Bauministerium ab 2023 von einem jährlichen Investitionsbedarf von 70 Mio.€ aus (vgl. Tabelle 86). Damit würden die Mittel für Neubauprojekte (weit überwiegend Ortsumgehungen) erhöht. Laut Schätzung des ORH flossen zuletzt höchstens 45 Mio.€ pro Jahr in Neubauprojekte.
57.2.1.3 Ausbau von Bestandsstrecken
Die Fahrbahnen der Staatsstraßen sind hinsichtlich Linienführung, Querschnitt und Tragfähigkeit nur teilweise nach dem aktuellen technischen Regelwerk ausgebaut. Laut Gesamtverkehrsplan Bayern 2002 ging man damals davon aus, dass 6.000 km (43%) ausgebaut waren. Seit 2001 wurden bis Ende 2020 weitere 800 km ausgebaut.
Das Bauministerium hat keine Gesamterhebung zum heutigen Ausbauzustand. Es hält es für möglich, dass mehr als die Hälfte des Netzes nicht ausgebaut ist. Welcher Anteil der Fahrbahnen in Linienführung, Querschnitt und Tragfähigkeit den künftig zu erwartenden Anforderungen aus Verkehrsbelastung und Verkehrssicherheit genügt, ist dem Bauministerium nicht bekannt.
Das Bauministerium nennt für den Fahrbahnausbau Kosten von 1,7 bis 2,0 Mio.€/km innerhalb einer großen Bandbreite von 0,5 bis 3,0 Mio.€/km. Kosten für Bauwerke und Grunderwerb kommen noch hinzu. Der Mittelbedarf für den Fahrbahnausbau hängt von den baulichen Zielen ab, insbesondere davon, ob und in welchem Umfang richtliniengemäß oder mit reduziertem Standard, also im Vergleich niedrigeren Kosten ausgebaut wird. Zum Einsatz reduzierter Standards gaben Bau- und Innenministerium 2021 den Staatlichen Bauämtern (StBÄ) Hinweise.10 Ein Konzept mit Angaben zu baulichen und zeitlichen Zielen oder den angestrebten Mitteleinsatz gibt es für den Ausbau bestehender Fahrbahnen bisher nicht.
57.2.2 Erhaltung
Dieser zweite Investitionsbereich umfasst die Erhaltung von Fahrbahnen und Bauwerken. Aufgrund der technischen Unterschiede zwischen Fahrbahnen und Bauwerken erfolgt die Erhaltung durch verschiedene Organisationseinheiten der Bauverwaltung mit unterschiedlichen Methoden.
57.2.2.1 Erhaltung der Fahrbahn
36% der Fahrbahnoberflächen der Staatsstraßen sind in die schlechteste Kategorie eingestuft.11 32% der Deckschichten sind zwischen 20 und 40 Jahre alt, 21% älter als 40 Jahre. Laut Kostenpauschalen des Bauministeriums haben Deckschicht-Erneuerungen einen Regelpreis von 0,36 Mio.€/km. Bei einem richtliniengemäß etwa 17-jährigen Erneuerungszyklus12 müssten jährlich 820 km Deckschichten erneuert werden; auf dieser Grundlage wären nach überschlägiger Berechnung des ORH 300 Mio.€ erforderlich.13
Laut Bauministerium sind die Fahrbahnen der Staatsstraßen teilweise nicht auf die heutigen Verkehre ausgelegt; zugleich würden die Altersstruktur ungünstiger und die Verkehrsbelastung größer. Maßnahmen an den Fahrbahnoberflächen würden oft nicht die Schadensursachen beheben und somit frühzeitig erneut Handlungsbedarf auslösen. Künftig seien daher verstärkt auch teurere Maßnahmen zur grundhaften Erneuerung und zusätzliche Haushaltsmittel erforderlich. Der Regelpreis für die Erneuerung des gesamten Fahrbahn-Oberbaus beträgt lt. Bauministerium 1,4 Mio.€/km.14
Das Bauministerium beabsichtigt künftig den langfristigen Finanzbedarf für die Erhaltung der Fahrbahnen mit einem rechnergestützten Pavement-Management-System (PMS) zu ermitteln. Das PMS soll auf Grundlage tatsächlich erforderlicher Kosten verschiedene Finanz- und Qualitätsszenarien berechnen und deren Auswirkungen/Ergebnisse auf die Entwicklung des Straßenzustands darstellen. Erste Ergebnisse liegen dem Bauministerium seit 2022 vor.
57.2.2.2 Bauwerkserhaltung
Die Ausgaben für die Erhaltung und Erneuerung von Bauwerken sind bisher auf alle drei Investitionsbereiche verteilt. Das Bauministerium kann die Ausgaben für die Bauwerkserhaltung aber über sein Projektmanagementsystem ermitteln.
Anfang 2021 ging das Bauministerium von einem jährlichen Bedarf für die Bauwerkserhaltung von 65 Mio.€ aus, davon etwa 95% für Brücken. Das Bauministerium wollte aber vorerst das zuletzt erreichte Ausgabenniveau von 50 Mio.€/Jahr beibehalten, um eine kurzfristige weitere Steigerung der Baupreise im Brückenbau zu vermeiden und die vorhandenen Planungskapazitäten zu berücksichtigen. Angesichts der Baukostensteigerungen nannte das Bauministerium im August 2022 einen voraussichtlichen jährlichen Bedarf von 80 Mio.€ und ging von weiteren deutlichen Preissteigerungen aus.
57.2.3 Sonstiger Um-/Ausbau
Dieser dritte Investitionsbereich umfasst alle übrigen Ausgaben außerhalb der beiden anderen Investitionsbereiche Ausbauplan und Erhaltung. Die Ausgaben haben sich in den letzten 10 Jahren mehr als verdoppelt. Eine umfassende Übersicht zu den Ausgaben in diesem Investitionsbereich mit Soll-Ist-Daten zum Mitteleinsatz in verschiedenen Aufgabenfeldern gibt es bisher nicht.
Infolge der Reduzierung des Ausbauplans will das Bauministerium künftig auch Projekte, die bisher im Ausbauplan enthalten waren, aus dem Sonstigen Um-/Ausbau finanzieren (vgl. Tabelle 87). Der jährliche Finanzbedarf im Sonstigen Um-/Ausbau steigt laut Bauministerium von derzeit 80 Mio.€ bis 2029 um 50% auf 120 Mio.€.
57.2.4 Übersicht zu Investitionen und Straßenzustand
Zu den drei Investitionsbereichen fehlen Soll-Ist-Vergleiche im Rückblick (Bilanz) und vorausschauende Darstellungen der langfristigen Investitionsbedarfe mit Angabe kurzfristigerer Investitionsziele. Die Ausgaben für die Bauwerke werden nicht gesondert dargestellt; auch die Investitionen aus den kommunalen Baumaßnahmen an Staatsstraßen sind nicht genannt. Eine veröffentlichte Bilanz beispielsweise zur Umsetzung des Ausbauplans gibt es nicht.
Einzelne Informationen und Daten zu Investitionen, Zielen und Zielerreichung im Staatsstraßenbau sowie zum Ausbau- und Erhaltungszustand des Netzes sind mit verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten bisher nur an unterschiedlichen Stellen zu finden, wie etwa auf Internetseiten, in Medieninformationen des Bauministeriums, Haushaltsplänen, Antworten zu parlamentarischen Anfragen und ORH-Berichten. Bisher gibt es keine Informationsquelle, die in regelmäßigen Abständen den Ausbau- und Erhaltungszustand der Fahrbahnen und Bauwerke mit den künftigen baulichen und zeitlichen Zielen strukturiert, umfassend und transparent darstellt.
57.3 Würdigung und Empfehlungen
Aus Sicht des ORH ist die bisherige Darstellung der Staatsstraßen-Investitionen unübersichtlich und nicht transparent. Der ORH betrachtet deshalb die folgenden vier Investitionsbereiche separat:
- Ausbauplan - Neubau von Ortsumgehungen
- Fahrbahnen - Ausbau, Erhaltung
- Bauwerkserhaltung - Unterhaltung, Sanierung, Erneuerung
- Sonstiger Um-/Ausbau
57.3.1 Ausbauplan - Neubau von Ortsumgehungen
Der tatsächliche Umsetzungsgrad des 7. Ausbauplans von 2011 bis 2020 für die besonders dringlichen Projekte liegt lediglich knapp über 40%. Auch wenn man wie das Bauministerium von einem Umsetzungsgrad von 60% ausgeht, ist das angesichts der verfolgten baulichen Ziele viel zu niedrig. Zugleich zeigt dies, dass die Projektzahl deutlich zu hoch sowie die Projektkosten erheblich zu niedrig angesetzt waren.
Das Konzept zur Weiterführung des Ausbauplans als Ausbauplan/Netzausbau ist ohne Kostenvolumen und Zeitziele für die Steuerung der Umsetzung unvollständig. Das Bauministerium sollte diese fehlenden Angaben auf Grundlage belastbarer und realistischer Projektkosten im Konzept ergänzen. Der ORH empfiehlt, die für den Staatsstraßenbau verfügbaren Mittel vorrangig für Investitionen in den Bestandserhalt zu verwenden.
Bei Gesamtkosten von 3,3 Mrd.€ für 250 Projekte und einem Mitteleinsatz von 70 Mio.€/Jahr würde die Finanzierung des weitergeführten Ausbauplans mehr als 50 Jahre dauern. Um vor diesem Hintergrund Planungsressourcen wirtschaftlich einzusetzen, sollten nur etwa so viele Projekte gleichzeitig geplant werden, wie realistischerweise bau- und finanzierbar sind. Der ORH empfiehlt daher eine Beschränkung der Projektzahl im Ausbauplan/Netzausbau bzw. eine zeitlich gestaffelte und konzentrierte Abarbeitung.
Eine aus Sicht des ORH künftig erforderliche umfassende und transparente Bilanzierung zum Ausbauplan/Netzausbau sollte auch die von den Gemeinden erbrachten Investitionen und die dazu geleisteten staatlichen Fördermittel und Kostenbeteiligungen umfassen.
57.3.2 Fahrbahnen - Ausbau und Erhaltung
Aus Sicht des ORH ist davon auszugehen, dass mehr als 7.000 km Staatsstraßen „nicht ausgebaut“ sind und insbesondere hinsichtlich Linienführung oder Tragfähigkeit nicht den Anforderungen der aktuellen Richtlinien entsprechen. Der ORH hält es für erforderlich, dass das Bauministerium bauliche und zeitliche Ziele für den weiteren Ausbau der Fahrbahnen priorisiert und den Mittelbedarf benennt.
Insgesamt liegt der Bedarf für die Fahrbahnen weit über den voraussichtlich verfügbaren Mitteln. Diese errechnen sich aus den verfügbaren Gesamtmitteln abzüglich der Bedarfe für die Investitionsbereiche Ausbauplan, Bauwerkserhaltung und Sonstiger Um-/Ausbau. Ausgehend von den vom Bauministerium genannten Bedarfen ergibt sich für diese drei Investitionsbereiche ein Bedarf von mindestens 230 Mio.€/Jahr:
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70 Mio. € |
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80 Mio. € |
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80 Mio. € |
Somit verbleiben von zuletzt insgesamt 350 Mio.€/Jahr lediglich 120 Mio.€/Jahr für den Bereich Fahrbahnen. Allein für eine Erneuerung der Fahrbahndecken im 17-Jahre-Turnus wären aber bereits etwa 300 Mio.€/Jahr erforderlich (TNr. 57.2.2.1). Die zudem erforderliche grundhafte Erneuerung kostet 1,4 Mio.€/km, das wären für beispielsweise nur 50 km/Jahr zusätzlich 70 Mio.€/Jahr. Für die darüber hinaus notwendigen Ausbauprojekte mit Verbesserungen der Linienführung liegen die Kosten noch deutlich höher (TNr. 57.2.1.3).
Der ORH vertritt deshalb die Auffassung, dass das Bauministerium die baulichen Ziele und den anhand realistischer Projektkosten zu errechnenden Investitionsbedarf an den voraussichtlich verfügbaren Mitteln ausrichten sollte, um eine effiziente Mittel- und Ressourcensteuerung zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund empfiehlt er für Ausbau bzw. Erhaltung der Fahrbahnen eine klare Stufung der baulichen Ziele im Staatsstraßennetz. Das Bauministerium könnte dazu das Netz nach Funktion und Bedeutung einteilen und auf dieser Grundlage gestufte Ausbau- bzw. Erhaltungsziele für die Fahrbahnen definieren.
Der ORH empfiehlt ferner, die Möglichkeit für den Einsatz angemessen reduzierter Standards konsequent zu nutzen, um die Kilometerkosten zu senken und mit den verfügbaren Mitteln mehr Fahrbahnen grundhaft erneuern bzw. bedarfsweise auch ausbauen zu können.
57.3.3 Bauwerkserhaltung - Unterhaltung, Sanierung, Erneuerung
Aus Sicht des ORH sind die Erhaltung und die rechtzeitige Erneuerung der Bauwerke prioritär, um die Funktionsfähigkeit des Straßennetzes zuverlässig zu gewährleisten. Gesperrte oder nur eingeschränkt befahrbare Brücken oder Tunnel führen zu erheblichen Folgebelastungen. Das Bauministerium sollte künftig sämtliche Ausgaben für die Bauwerkserhaltung in einem eigenen Investitionsbereich bündeln und übersichtlich darstellen.
Der Investitionsbedarf für Erhaltung und Erneuerung der bestehenden Bauwerke beträgt lt. Bauministerium mindestens 80 Mio.€/Jahr. Diese Mittel sowie die dafür notwendigen Planungskapazitäten sollten aus Sicht des ORH bedarfsgerecht bereitgestellt werden.
57.3.4 Sonstiger Um-/Ausbau
Das Bauministerium nennt für den Sonstigen Um-/Ausbau einen weiter steigenden Mittelbedarf. Deshalb sollte es auch über die Verwendung der Mittel in diesem Investitionsbereich regelmäßig und umfassend informieren.
57.3.5 Übersicht zu Investitionen und Straßenzustand
Aus Sicht des ORH sind die zu den Staatsstraßen verfügbaren Informationen insbesondere als Grundlage für Haushaltsentscheidungen unvollständig und unzureichend. Sie geben keinen strukturierten und bewertbaren Überblick über den Ausbau- und Erhaltungszustand des Netzes, die Ausbau- und Erhaltungsziele, die Mittelbedarfe und die Wirkung der Investitionen.
Die veranschlagten Mittel reichen nicht aus, um die Fahrbahnen im gesamten Staatsstraßennetz richtliniengemäß zu erhalten und größere Netzbereiche in absehbarer Zeit grundhaft zu erneuern oder auszubauen. Vor diesem Hintergrund hält der ORH gestufte bauliche Ziele, einen priorisierten Mitteleinsatz und die konsequente Anwendung reduzierter Standards für vorteilhaft.
Das Bauministerium sollte daher den Bayerischen Landtag regelmäßig, etwa alle fünf Jahre, über die Investitionen in die Staatsstraßen und deren Wirkung auf Erhaltungs- und Ausbauzustand informieren. Dieser Investitionsbericht Staatsstraßen sollte den Ausbau- und Erhaltungszustand der Fahrbahnen und Bauwerke beschreiben, im Nachhinein den Mitteleinsatz und die Zielerreichung bewerten sowie im Voraus die mit den geplanten Investitionen angestrebten baulichen und zeitlichen Ziele benennen. Dies könnte für die vier oben aufgezeigten Investitionsbereiche erfolgen. Dabei sollte auch die Baupreisentwickl ung im Straßenbau einbezogen werden.15
57.4 Stellungnahme der Verwaltung
Das Bauministerium nennt einen stark steigenden jährlichen Investitionsbedarf für die Staatsstraßen von zuletzt 350 auf 550 Mio.€ ab 2029 (ohne Steigerung der Baupreise). Die Mittel würden weiterhin im Schwerpunkt auf die Bestandserhaltung konzentriert. Der künftige Investitionsbedarf für den Ausbauplan betrage etwa 70 Mio.€/Jahr. Das vom Ministerrat am 19.07.2022 beschlossene Feinkonzept zur Weiterführung des Ausbauplans beinhalte aber weder Mittelverteilung noch Zeitrahmen. Für die Erhaltung der Fahrbahnen und Bauwerke steige der Mittelbedarf von aktuell 210 Mio.€/Jahr auf 360 Mio.€/Jahr (ab 2029). Darin seien künftig auch Projekte aus der Kategorie Ausbau des bisherigen Ausbauplans enthalten.
Aus Sicht des Bauministeriums könne es zutreffen, dass immer noch mehr als die Hälfte des Staatsstraßennetzes nicht ausgebaut sind. Das Bauministerium habe keine Gesamterhebung zum heutigen Ausbauzustand, da es nicht für sinnvoll erachtet werde, das komplette Staatsstraßennetz auf das Niveau der aktuell gültigen Richtlinien auszubauen. Daher sei es auch unerheblich, welcher Anteil der Fahrbahnen in Linienführung, Querschnitt und Tragfähigkeit den künftig zu erwartenden Anforderungen aus Verkehrsbelastung und Verkehrssicherheit genügt.
Das Bauministerium hält die Tragfähigkeit für einen wichtigen Baustein bei der Beurteilung der strukturellen Substanz der Fahrbahnen, aber auch aus Kostengründen nicht für das wichtigste Ziel in der Erhaltungsplanung. Die Ermittlung der Erneuerungszyklen von Deckschichten ausschließlich auf Grundlage der RPE-Stra sei eine rein theoretische Betrachtungsweise, die zu unwirtschaftlichen Ergebnissen führen könne. In der Praxis würden den StBÄ insbesondere die ZEB-Ergebnisse als Entscheidungsgrundlage für eine effiziente Erhaltungsplanung dienen. Der Bedarf für die Instandsetzung/Erneuerung der Fahrbahnen werde derzeit erstmals mit einem PMS ermittelt.
Das Bauministerium will nun den Vorschlag des ORH aufgreifen und nach Vorliegen des Projektportfolios des Ausbauplans eine regionale Netzpriorisierung durchführen und daraus eine Gesamtstrategie für die einzelnen Investitionsbereiche bei den Staatsstraßen (Instandhaltung, Erhaltung, Um-, Aus- und Neubau) für die kommenden Jahre entwickeln.
Zur Bauwerkserhaltung weist das Bauministerium darauf hin, dass schon bei einer Mittelerhöhung von 50 auf 80 Mio.€/Jahr das Personal in den Abteilungen Ingenieurbau deutlich verstärkt und die Vergabequote erhöht werden müssten. Konkrete Zahlen könnten erst nach Vorliegen der Ergebnisse des PMS für den gesamten Erhaltungsbedarf angegeben werden. Zudem sei zu erwarten, dass der Finanzbedarf von derzeit 80 Mio.€/Jahr aufgrund der aktuellen globalen Finanz- und Preisentwicklungen weiter steigen werde. Die Erhöhung des Vergabeanteils und die Umschichtung von Planungskapazitäten zur Bauwerkserhaltung seien aber nur begrenzt möglich. Zudem seien aufgrund des Fachkräftemangels sowohl die Personalgewinnung schwierig als auch die Kapazitäten der Ingenieurbüros ggf. nicht ausreichend.
57.5 Schlussbemerkung
Das Bauministerium sollte nach Ansicht des ORH die effiziente Verwendung der knappen Mittel für die Staatsstraßen auf Grundlage realistischer baulicher und zeitlicher Ziele sowie belastbarer Kosten steuern. Die Planung der Staatsstraßeninvestitionen sollte sich an der jeweils absehbaren Mittelausstattung orientieren. Zur Erhaltung der Bauwerke sollte das Bauministerium die notwendigen Maßnahmen ergreifen, damit deren Planung und Finanzierung baldmöglichst bedarfsgerecht erfolgen können. Für die Fahrbahnen sollten angemessen reduzierte Standards konsequent genutzt werden, um die Kosten zu senken und mehr Strecken erhalten bzw. im notwendigen Umfang ausbauen zu können. Das Bauministerium sollte dem Landtag regelmäßig zu Staatsstraßen über Finanzierung, Zustand, Ziele und Zielerreichung berichten.
[1] Siehe ORH-Berichte 2019 TNr. 35 und 2018 TNr. 34.
[2] Https://www.stmb.bayern.de/vum/strasse/bauunderhalt/finanzierungundfoerderung/index.php, abgerufen am 12.05.2022.
[3] Kap. 09 40 Tit. 750 00.
[4] Förderung nach Art. 13f BayFAG (Kap. 13 10 Tit. 883 01).
[5] Grundlage: Kostenberechnung zur Planung.
[6] Auswertung ORH.
[7] Beschluss des Ministerrats vom 19.07.2022.
[8] Pressemitteilung mit Flyer des Bauministeriums vom 25.07.2022.
[9] Ortsumgehungen Ausbauplan; durchschnittliche Länge und Kosten: 2,9 km und 4,6 Mio. €/km.
[10] Siehe „Leitfaden für bestandsnahen Straßenausbau außerorts“, abrufbar unter https://www.stmb.bayern.de/assets/stmi/vum/strasse/planung/49_kostenbewusstes_bauen_2021.pdf.
[11] Ergebnisse der letzten Zustandserfassung und -bewertung (ZEB 2019).
[12] Richtlinien für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Straßenbefestigungen (RPE-Stra 01): Nutzungsdauer von Deckschichten 12 bis 16 Jahre bei stark bzw. 18 bis 22 Jahre bei schwächer belasteten Fahrbahnen (Mittelwert: 17 Jahre).
[13] Kostenpauschalen Bauministerium: Regelpreis Deckenbau 55 €/m²; bei durchschnittlich 6,5 m Fahrbahnbreite: 360.000 €/km.
[14] Kostenpauschalen Bauministerium: Regelpreis Erneuerung Oberbau 215 €/m²; bei durchschnittlich 6,5 m Fahrbahnbreite: 1,4 Mio. €/km.
[15] Auswertung des ORH der Daten des Landesamts für Statistik zur Preisentwicklung im Straßenbau (ohne Brückenbau) pro Dekade: bis 1990: 23 %; bis 2000: 21 %; bis 2010: 22 %; bis 2020: 23 %.