Jahresbericht 2006

TNr. 36: Ärztlicher Dienst beim Zentrum Bayern Familie und Soziales

Stethoskop

Die Kosten des Ärztlichen Dienstes können mittelfristig um mindestens 2 Mio € jährlich gesenkt werden, wenn Leistungsunterschiede verringert, Rationalisierungsmöglichkeiten genutzt und medizinische Begutachtungen stärker als bisher an Externe gegeben werden.

36.1    Aufgaben des Ärztlichen Dienstes

Das Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) führt u.a. die Feststellungsverfahren zum Grad der Behinderung und der Zuerkennung von Nachteilsausgleichen (Merkzeichen) nach SGB IX 1 durch. Außerdem bewilligt es Leistungen nach dem sozialen Entschädigungsrecht (insbesondere Bundesversorgungsgesetz, Soldatenversorgungsgesetz, Opferentschädigungsgesetz , Infektionsschutzgesetz und Bayerisches Blindengeldgesetz). Verwaltungsentscheidungen hierzu ergehen auf der Grundlage von sozialmedizinischen Gutachten. Diese werden vom Ärztlichen Dienst beim ZBFS erstellt.

36.2    Ergebnisse der Rechnungsprüfung

Der ORH hat zusammen mit einem Staatlichen Rechnungsprüfungsamt den Ärztlichen Dienst geprüft und dabei u.a. Folgendes festgestellt:    

Am 1. Juli 2004 waren beim Ärztlichen Dienst in Vollzeitkräfte umgerechnet 80,3 Ärzte (davon sieben leitende Ärzte) eingesetzt, die sich auf die Zentrale und sieben Regionalstellen verteilen.

Die Ärzte werden von der Verwaltung Ärztlicher Dienst mit zusammen 64,1 Verwaltungs- und 44,0 Assistenzkräften unterstützt. Zu den Aufgaben der Verwaltung Ärztlicher Dienst gehört die Steuerung der Aktenzuteilung an die Ärzte, die Entschädigung für Befundberichte, die Erstattung von Reisekosten und Verdienstausfällen, die Vergütung der externen Gutachter, die Bearbeitung der Vorverfahren im Rahmen des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) einschließlich der Kostenerstattung sowie die Mitwirkung bei der Erstellung der versorgungsärztlichen Statistik. Die Assistenzkräfte sind im Wesentlichen die Schreibkräfte des Ärztlichen Dienstes.

Insgesamt waren 2004 für den Aufgabenbereich Ärztlicher Dienst somit 188,4 Vollzeitkräfte mit Personalvollkosten von 13,6 Mio € eingesetzt.

Personalkosten

Außer den Personalkosten fallen sächliche Ausgaben für die Kosten der Beweiserhebung an (Kap. 10 20 Tit. 536 01). Dazu gehören Reisekosten der Ärzte und Antragsteller, Entschädigungen für Befundberichte der behandelnden Ärzte und Vergütungen für externe Gutachter. Im Jahr 2004 betrugen diese Ausgaben zusammen knapp 10,5 Mio €.

Kosten der Beweiserhebung
    

36.2.1    Personalbedarfsberechnung

Das ZBFS verwendet für die Berechnung des jährlichen Personalsolls Grunddaten, die im Wesentlichen aus den Jahren 1987 und 1988 stammen. Die mittleren Bearbeitungszeiten wurden seither nicht angemessen an organisatorische Veränderungen bei den Arbeitsabläufen angepasst. Mit dem IT-Einsatz sind Einspareffekte verbunden, die bisher nicht berücksichtigt wurden. Dadurch ergibt sich rechnerisch ein zu hoher Personalbedarf. Eine grundlegende Überprüfung ist deshalb notwendig.   

36.2.2    Leistungsunterschiede zwischen den Regionalstellen

Zwischen den Regionalstellen bestehen nach der Leistungsstatistik des ZBFS bei den Ärzten erhebliche Leistungsunterschiede. Bezogen auf die Regionalstelle mit den höchsten Erledigungszahlen errechnet sich ein Effizienzpotenzial von knapp 14 Stellen. Allerdings hat der ORH bei der Erfassung der Arbeitsmengen und der Berechnung der Nettoarbeitszeiten Unstimmigkeiten und Fehler festgestellt, die die Aussagekraft der Statistik einschränken. Die divergierenden Belastungszahlen waren der Verwaltung bekannt. Entsprechende Anpassungen bei den Regionalstellen wurden allerdings nicht vorgenommen.

Bei den Verwaltungskräften hat der ORH ebenfalls beträchtliche Leistungsunterschiede festgestellt. Hier beträgt das rechnerische Effizienzpotenzial sogar 20 Stellen.

36.2.3    Rationalisierungspotenziale


Sowohl bei den Ärzten als auch bei der Verwaltung Ärztlicher Dienst bestehen Möglichkeiten, die Arbeitsabläufe zu vereinfachen und mit entsprechender IT-Unterstützung effizienter zu gestalten.

  • Bei den Ärzten würde es vor allem der Einsatz von Spracherkennungssoftware und Textbausteinen ermöglichen, Stellungnahmen unmittelbar ohne Einschaltung des Assistenzdienstes fertigzustellen. Bisher sind erst einzelne Arbeitsplätze damit ausgestattet. Dies gilt auch für andere Programme (z.B. Berechnungsprogramme für die Feststellung der Behindertengrade bei Augen- und Gehörleiden). Bei flächendeckendem Einsatz und konsequenter Nutzung allein der Spracherkennungssoftware würden geschätzt neun Assistenzkräfte entbehrlich.
  • Die Assistenzkräfte sind zu einem großen Teil mit der Eingabe von Daten beschäftigt, die von externen Gutachtern bereits in Formblättern erfasst wurden. Bei Anbindung dieser externen Gutachter an die IT des ZBFS über eine sichere Verbindung ließen sich diese Doppeltätigkeiten vermeiden. Sechs bis sieben Assistenzkräfte könnten so eingespart werden.
  • Wenig effizient ist die Organisation der Ladungen zu Untersuchungen. Sie werden derzeit entweder mit Schreibmaschine und Kohlepapier oder PC-Formular erstellt. Ein Rückgriff auf die vorhandene Schwerbehindertendatenbank ist nicht möglich. Hier würde die Einführung einer IT-gestützten Ressourcen-, Termin- und Schriftgutverwaltung mit Anbindung an die vorhandene Datenbank zu erheblichen Vereinfachungen führen.
  • Aktenverwaltung und Registrierung sind aufwendig gestaltet und enthalten mehrfache Medienbrüche. Der ORH sieht hier mit dem Einsatz einer einheitlichen Datenbank und einer angebundenen Textverarbeitung sowie dem Einsatz von Barcodescannern erhebliche Rationalisierungsmöglichkeiten.
  • Entschädigungen für Befundberichte werden von der Verwaltung Ärztlicher Dienst geprüft, abgerechnet und angewiesen. Dabei prüft sie, ob es sich um einen aussagekräftigen und aktuellen Befundbericht oder nur um die Wiedergabe von Patientendaten oder Diagnosen handelt und ob die geltend gemachten Auslagen (Porto, Kopien, Fax) nachgewiesen und notwendig sind.

Die Entschädigung ist dem Grunde nach in § 21 Abs. 3 Satz 4 SGB X geregelt. Das dort genannte frühere Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) wurde mit Wirkung vom 1. Juli 2004 durch das JVEG ersetzt. Die Abrechnung der Befundberichte hat sich damit nur in sehr begrenztem Rahmen vereinfacht. Zwar gibt es nur mehr zwei Entschädigungstatbestände - Befundbericht/kein Befundbericht - mit den Pauschalen 21 oder 6 €. Es bleibt aber weiterhin aufwendig, die Höhe der Auslagen zu ermitteln, weil sie nach tatsächlichem Anfall ersetzt und erforderlichenfalls neu berechnet werden. So wird z.B. bei der Notwendigkeit von Auslagen für Fotokopien mit großem Aufwand geprüft, ob die Unterlagen für die Beweiserhebung überhaupt relevant sind.   

Die Einführung von Aufwandspauschalen könnte den Arbeitsaufwand erheblich verringern. Dazu bedarf es allerdings einer Gesetzesänderung.

36.2.4    Aufträge an externe Gutachter

Im Jahr 2004 wurden rd. 413 000 Gutachten und Stellungnahmen gefertigt. Die meisten Fälle betrafen Verfahren nach dem Schwerbehindertenrecht, wobei in 378 000 Stellungnahmen der Grad der Behinderung praktisch ausschließlich nach Aktenlage beurteilt wurde. 57 % davon erledigten die Ärzte des ZBFS selbst, 43 % wurden an externe Gutachter vergeben.    

Nach den Berechnungen des ZBFS für das Jahr 2004 kostete eine Stellungnahme nach SGB IX bei Vergabe an einen externen Gutachter durchschnittlich 18,50 €. Gegenüber einer eigenen Erledigung (19,67 €) ergab sich ein Kostenvorteil von 1,17 €. Hierbei waren aber die Personalvollkosten der leitenden Ärzte nicht berücksichtigt. Die ergänzenden Berechnungen des ORH auf der Basis der Leistungsstatistik der ZBFS, der Personalkosten und der Sachkostenanteile ergaben einen deutlich höheren Kostenvorteil von 4,42 €.   

Der ORH hat angeregt, den Anteil der Stellungnahmen externer Gutachter deutlich - z.B. auf zwei Drittel - zu steigern. Bei diesem Zielwert bliebe genügend eigene Fachkompetenz erhalten. Das Einsparpotenzial für den Staat wäre erheblich. Bezogen auf die Verhältnisse im Jahr 2004 hätte der Kostenvorteil 400 000 € betragen.

36.2.5    Kosten- und Leistungsrechnung

Neben der versorgungsärztlichen Statistik erstellt das ZBFS seit 2004 auch eine aufwendige Kosten- und Leistungsrechnung 2. Die Prüfung hat gezeigt, dass auch sie derzeit keine verlässlichen Ergebnisse liefert und damit ein wirksames Controlling noch nicht möglich ist. Die Regionalstellen ordnen die Personalkosten nicht einheitlich zu. Die Höhe der Produktkosten war z.T. nicht plausibel.    

Der ORH hält zwei unterschiedliche und personalintensive Steuerungssysteme nicht für sinnvoll. Er hat empfohlen, dass sich das ZBFS auf ein verlässliches Kennzahlensystem beschränkt, dieses aber auch konsequent nutzt. Es muss so gestaltet sein, dass der Steuerungszweck ohne hohen Verwaltungsaufwand erreicht werden kann.

36.3    Stellungnahme des Staatsministeriums

Das Staatsministerium hat darauf hingewiesen, dass die Umstrukturierung der bayerischen Versorgungsverwaltung (Bayerisches Landesamt für Versorgung und Familienförderung, Ämter für Versorgung und Familienförderung) im Rahmen der Verwaltungsreform „Verwaltung 21“ in ein Zentrum Bayern Familie und Soziales mit entsprechenden Erweiterungen (Bayerisches Landesjugendamt, Hauptfürsorgestellen, Integrationsämter) umfangreiche Organisationsmaßnahmen bereits erforderlich mache. Hierzu zähle auch die Untersuchung des Ärztlichen Dienstes. Das Staatsministerium habe sich deshalb entschlossen, beim ZBFS eine Projektgruppe einzusetzen. Diese soll bis Juli 2007 ein praxistaugliches Konzept zur Neuordnung der Organisation und der Arbeitsweise des Ärztlichen Dienstes und dessen Verwaltung vorlegen. Die Prüfungsfeststellungen des ORH würden bei dieser Organisationsuntersuchung mit einbezogen.   

Sowohl das Staatsministerium als auch das ZBFS seien an einer optimalen Organisation und an effizientem und effektivem Verwaltungshandeln interessiert. Bereits das Reformkonzept des ZBFS vom Jahre 2004 beinhalte deswegen nicht nur den Einsatz neuer Steuerungsinstrumente, sondern auch eine weitere Privatisierung der Gutachtertätigkeit im Bereich des SGB IX.   

Im Rahmen der Umstrukturierung der Versorgungsverwaltung würden insgesamt 540 Stellen abgebaut. Darin seien auch die durch diese Privatisierung ‑ freilich auf Kosten höherer Sachausgaben ‑ erzielbaren Stelleneinsparungen enthalten.

36.4    Schlussbemerkung des ORH

Der ORH erwartet, dass die aufgezeigten Verbesserungsvorschläge zügig umgesetzt werden. Mittelfristig wären beim Ärztlichen Dienst Einsparungen von jährlich mindestens 2 Mio € möglich.

 


1) Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (Art. 1 des Gesetzes vom 19. Juni 2001 BGBl. I S. 1046)

2) vgl. auch TNr. 16 "Neue Steuerungsinstrumente in der Staatsverwaltung"