TNr. 23: Steuerfahndungsstellen der Finanzämter

Die Steuerfahndungsstellen ‑ und hier vor allem das Finanzamt München I ‑ können ihren Auftrag nur eingeschränkt erfüllen. Dies führt zu jährlichen Steuerausfällen von mindestens 34 Mio €, davon allein 24 Mio € im Großraum München.
23.1 Aufgaben und Organisation der Steuerfahndungsstellen
Die Steuerfahndung hat die Aufgabe, Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten zu erforschen, die Besteuerungsgrundlagen in diesen Fällen zu ermitteln sowie unbekannte Steuerfälle aufzudecken (§ 208 Abgabenordnung). Insgesamt sind in Bayern bei neun Finanzämtern Steuerfahndungsstellen eingerichtet. Ende 2006 waren 444 Bedienstete eingesetzt (einschließlich Kanzleikräfte).
Zu dieser Zeit lagen bei den Steuerfahndungsstellen 13.000 Meldungen, Anzeigen sowie Amtshilfeersuchen anderer Finanzämter und Behörden vor, von denen erfahrungsgemäß nur etwa 10 % zur Einleitung eines Verfahrens führen werden. 1.450 Verfahren waren in Bearbeitung. Für die Bekämpfung der Schwarzarbeit in Zusammenarbeit mit dem Zoll sowie die Bekämpfung der gewerblichen Kriminalität und der Geldwäsche richtete die Finanzverwaltung Sonderstellen ein.
23.2 Prüfung durch den ORH
Der ORH untersuchte die Besetzung, den Arbeitsstand, die Arbeitsbelastung und die Ergebnisse der Steuerfahndung.
Stichprobenweise wurden 2 % von insgesamt 101.200 Meldungen/Anzeigen aus 2000 bis 2006 überprüft, die zu keinem Verfahren geführt hatten. Dabei wurde untersucht, ob die Vorgänge berechtigt an die Veranlagungsstellen abgegeben worden sind oder von der Steuerfahndung weiter zu bearbeiten gewesen wären.
Ferner wurden 5 % der in den Jahren 2000 bis 2006 durchgeführten 11.750 Verfahren überschlägig auf eine zutreffende Bearbeitung überprüft.
23.3 Besetzung der Steuerfahndungsstellen
23.3.1 Sachgebietsleiter
Die Führungsaufgaben in der Steuerfahndung wurden, den Sollvorgaben entsprechend, von 45 Sachgebietsleitern des höheren bzw. gehobenen Dienstes wahrgenommen, denen jeweils zwischen fünf und zehn Prüfer unterstellt waren.
23.3.2 Fahndungsprüfer
Ende 2006 arbeiteten in den Steuerfahndungsstellen 340 Prüfer des gehobenen Dienstes, hiervon waren 110 beim Finanzamt München I eingesetzt. Seit März 2000 hat sich die Prüferzahl außerhalb Münchens um 20 und in München um 12 erhöht. Die Besetzung der neu eingerichteten Sonderstellen mit 41 Prüfern erfolgte aus dem vorhandenen Personalbestand, sodass für die laufenden Aufgaben weniger Personal zur Verfügung stand. Gegenüber dem Personalzuteilungssoll 2006 von 375 Prüfern lag bayernweit eine Unterbesetzung von 9,3 % vor.
23.3.3 Fahndungshelfer, Kanzleikräfte
59 Fahndungshelfer und Kanzleikräfte arbeiteten den Prüfern zu und übernahmen insbesondere zeitaufwendige Hilfstätigkeiten. Diese wurden sowohl von Bearbeitern des mittleren Dienstes wie auch von Verwaltungsangestellten erledigt.
Gemessen am Zuteilungssoll von 70 Beschäftigten fehlten Ende 2006 11 Beschäftigte (= 15,7 %), davon 5 beim Finanzamt München I.
23.4 Arbeitsstand
Zum 31. Dezember 2006 stellte sich der Arbeitsstand in der Steuerfahndung wie folgt dar:
Sowohl bei den Meldungen und Anzeigen wie den Fahndungsprüfungen liegt die Prüferbelastung der Steuerfahndungsstelle München I deutlich über der Durchschnittsbelastung der übrigen Fahndungsstellen. Dies gilt ebenso für die noch nicht abgeschlossenen Prüffälle und die unerledigten Verfahren aus 2004 und älter.
Bei den noch nicht bearbeiteten Mitteilungen und Anzeigen aus 2004 und früher handelt es sich i. d. R. um steuergewichtige Sachverhalte, bei denen Prüfungen vorgesehen, aber aus Kapazitätsgründen noch nicht erfolgt sind. Da Steuerhinterziehung bereits nach fünf Jahren und die Festsetzung hinterzogener Steuern nach zehn Jahren verjähren, drohen in diesen Fällen bei der Steuerfestsetzung erhebliche Ausfälle sowie ein Ausschluss der Strafverfolgung.
23.5 Bearbeitung von Fahndungsvorgängen und Mehrergebnis
23.5.1 Weitergegebene Meldungen und Anzeigen
Im Rahmen der Untersuchung zur Bearbeitungsqualität hat der ORH 2 064 an die Finanzämter abgegebene Meldungen und Anzeigen aus 2000 bis 2006 geprüft. In 7,6 % der Fälle war die Bearbeitung nicht ausreichend (München 12,9 %; außerhalb Münchens 7 %), weil angesichts fehlender Personalkapazitäten gewichtigeren Fahndungsfällen der Vorrang gegeben worden ist. Dies führte in den 157 beanstandeten Fällen zu einem durchschnittlichen Risikobetrag in München von 165.000 € und außerhalb Münchens von 39.000 €.
23.5.2 Durchgeführte Fahndungen
Von 627 eingesehenen Fahndungen waren in 9,3 % der Fälle Ermittlungsdefizite mit Steuerausfallrisiken von 1,3 Mio € festzustellen. Mit durchschnittlich 42.000 € pro Fall erreichte die Steuerfahndungsstelle München I den höchsten Wert. Für die übrigen Stellen betrug der durchschnittliche Risikobetrag 17.000 € pro Fall.
Rechtsfehler führten zusätzlich in 47 Prüffällen bzw. in 7,5 % der Fälle zu Steuerausfällen bzw. -verschiebungen von insgesamt 4,1 Mio € (pro Einzelprüfung 88.000 €). Für das Finanzamt München I war der Durchschnittswert mit 100.000 € ebenfalls hoch, dafür wurden aber nur in sehr wenigen Fällen Rechtsfehler gemacht (ca. 2 % aller Fälle).
23.5.3 Mehrsteuern durch Fahndungsprüfung
Die von den neun Steuerfahndungsstellen ermittelten Mehrsteuern der Jahre 2000 bis 2006 beliefen sich zusammen auf 2,5 Mrd €. Durchschnittlich lag für München I das Ergebnis pro Prüffall bei 274.000 € und pro Prüfer bei 2,1 Mio € jährlich. Die übrigen Fahndungsstellen haben Werte von 163.000 € je Prüffall und 991.000 € je Prüfer erzielt.
Kassenmäßig vereinnahmt wurden rd. 70 % dieser Beträge. Die restlichen Steuernachholungen (2000 bis 2006: 707 Mio €) wurden wegen Aussichtslosigkeit der Beitreibung niedergeschlagen, ihre Ermittlung und Festsetzung ist gleichwohl für die Strafverfolgung erforderlich.
Nur in Höhe von 2,7 % (München I) bzw. 9 % (übrige Ämter) der Mehrsteuern in den vom ORH eingesehenen Fahndungsprüfungen wurde Vermögen der Steuerpflichtigen bei Beginn der Prüfungen bzw. während der Prüfungen beispielsweise durch dingliche Arreste oder strafprozessuale Beschlagnahmen gesichert.
23.5.4 Schwerpunktprüfung der Gebäudereinigungsunternehmen
Die Steuerfahndungsstelle München I hat seit dem Kalenderjahr 2000 43 Fälle von Gebäudereinigungsunternehmen mit Mehrergebnissen von jeweils über 250.000 € untersucht. Die Prüfungen führten zu vorläufigen Steuerfestsetzungen von insgesamt 23,2 Mio €. Hierbei handelte es sich insbesondere um Lohnsteuern aus illegaler Beschäftigung von Arbeitnehmern und um Umsatz-/Vorsteuern aus nicht erklärten Umsätzen und Scheinrechnungen.
In keinem der Prüffälle konnten die Steuern aber beigetrieben und damit kassenmäßig vereinnahmt werden. Die Betriebe stellten i. d. R. während oder nach der Prüfung ihre Geschäftstätigkeit ein. Meist unter neuer Führung aus dem gleichen Personenkreis entstanden „neue“ Gebäudereinigungsfirmen, die ihre Aktivitäten auch in steuer- und abgabenrechtlicher Hinsicht unverändert fortführen und nach wie vor Fahndungsprüfer in erheblichem Umfang beschäftigen, ohne dass eine realistische Aussicht besteht, Steuern und hier insbesondere die Umsatzsteuer vereinnahmen zu können.
Bei den übrigen Steuerfahndungsstellen erfolgten Prüfungen bei Gebäudereinigungsfirmen nur in Einzelfällen. Auch hier zeigte es sich, dass i. d. R. die Mehrsteuern nicht realisiert werden konnten.
23.6 Bewertung des Ergebnisses und Folgerungen
Die Steuerfahndungsstellen und hier vor allem München I können ihren Auftrag, Steuerstraftaten und Ordnungswidrigkeiten zu erforschen, hieraus resultierende Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln sowie unbekannte Steuerfälle aufzudecken, nur noch in eingeschränktem Umfang erfüllen.
Die Abgabe von nicht ausreichend bearbeiteten Meldungen und Anzeigen mit strafrechtlich relevanten Vorgängen an die Veranlagungsstellen führt hochgerechnet zu jährlichen Steuerausfällen von 34 Mio €.1 Hiervon entfallen auf den Ballungsraum München 24 Mio €.
Zusätzlich nötige Prüfungen erfordern einen deutlich höheren Prüfereinsatz. Der Einsatz von mehr Fahndungshelfern würde spürbar zur Entlastung beitragen.
23.7 Stellungnahme der Verwaltung
Die bayerische Steuerverwaltung bemüht sich nach Auffassung des Staatsministeriums seit Jahren um eine sachgerechte Personalausstattung der Außendienste. Speziell die Steuerfahndung habe in den letzten zehn Jahren (1997 bis 2007) um 111 Kräfte aufgestockt werden können (Fahndungsprüfer einschließlich Sachgebietsleiter). Das entspreche einer Verstärkung von über 40 %. Dennoch sei es nicht gelungen, die angestrebte Personalausstattung von 375 Fahndungsprüfern zu erreichen. In Anbetracht der allgemein angespannten Personallage bei den Finanzämtern sei bislang eine weiter gehende Verstärkung der Steuerfahndung nicht möglich gewesen.
Für 2007 und 2008 seien die Möglichkeiten für Neueinstellungen für den gehobenen Dienst von anfangs 90 auf 190 jährlich erhöht worden. Es sei beabsichtigt, mit den zusätzlichen Kräften, die 2010/2011 ihre Ausbildung abschließen, auch die Steuerfahndung weiter aufzustocken. Für 2007 seien Personalzuführungen bereits schwerpunktmäßig für die Steuerfahndung in München vorgesehen.
Das Staatsministerium hat angekündigt, die Empfehlungen des ORH aufzugreifen.
23.8 Schlussbemerkung des ORH
Die Verwaltung sollte vorsorgen, dass in kritischen Fällen bereits bei Prüfungsbeginn die Möglichkeit der Sicherung der Steueransprüche durch dinglichen Arrest oder Beschlagnahme wahrgenommen wird.
Bei den Gebäudereinigungsunternehmen regt der ORH gerade auch im Interesse der steuerehrlichen Firmen dieser Branche eine Gesetzesinitiative der Staatsregierung an, diese Unternehmen in die erweiterte Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers gemäß § 13b UStG aufzunehmen, um die Abführung der Umsatzsteuer direkt an die Finanzämter sicherzustellen (wie im Baugewerbe). Eine solche Regelung war zunächst im Entwurf des Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen der Bundesregierung vorgesehen, wurde dann aber nicht umgesetzt, weil der bürokratische Aufwand in keinem Verhältnis zum Steuermehraufkommen stehe. Der ORH teilt diese Auffassung aufgrund seiner Prüfungsergebnisse nicht.
Bei der Steuerfahndungsstelle München I gebietet die Entwicklung der Arbeitslage und die Bedeutung der Fälle vor allem einen höheren Prüfereinsatz. Das vorhandene Personal reicht für eine ausreichende Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität nicht aus.
Die allgemein angespannte Personallage an den Finanzämtern, die sich durch zu erwartende Personalabgänge in den kommenden Jahren ohne ausreichendes Gegensteuern eher noch verschärfen wird, wurde vom ORH bereits in mehreren Jahresberichten aufgegriffen. Wesentliche Verbesserungen sind bisher nicht erkennbar.
1) Eine Hochrechnung der 2.064 untersuchten Fälle auf alle derartige Fälle ergab einen Steuerausfall von 108 Mio €. Davon wurde ein Sicherheitsabschlag vorgenommen, der der Untergrenze des statistischen Konfidenzintervalls entspricht. Die so errechneten Steuerbeträge sind im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit einer Beitreibung und Vereinnahmung mit 70% angesetzt worden.