TNr. 23: Investitionsprogramm "Zukunft, Bildung und Betreuung"

Das Förderprogramm des Bundes wurde ohne Bedarfsprognose und fachliche Zielvorgaben umgesetzt. Haushaltsrechtliche Vorschriften wurden missachtet. Letztlich mussten weitere Vorhaben aus Landesmitteln finanziert werden.
23.1 Ausgangslage
Der Bund hat ein Investitionsprogramm "Zukunft, Bildung und Betreuung" (IZBB) aufgelegt. Damit soll die Schaffung einer modernen Infrastruktur im Ganztagsschulbereich unterstützt und der Anstoß für ein bedarfsorientiertes Angebot in allen Regionen gegeben werden. Ziel des Programms ist es, zusätzliche Ganztagsschulen und Ganztagsangebote zu schaffen sowie bestehende Angebote qualitativ weiterzuentwickeln. Die mit dem Bund geschlossene Verwaltungsvereinbarung fordert neben den Bundesmitteln eigene Aufwendungen von mindestens 10%. Von insgesamt 4 Mrd. € Fördermitteln erhielt Bayern 600 Mio. €.1 Die Maßnahmen sind von 2003 bis 2009 abzuwickeln. Das Staatsministerium erließ hierzu eine Förderrichtlinie.2Nach dieser Richtlinie war ein bedarfsorientiertes Angebot vorrangig zusätzliche Plätze der Ganztagsbetreuung in allen Regierungsbezirken für alle Schularten mit Ausnahme der Grundschulen zu schaffen.
23.2 Feststellungen
Nach dem IZBB-Kompass des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wurden in Bayern 822 Schulen aus IZBB-Mitteln gefördert. Das sind 20% der 4.031 allgemeinbildenden Schulen in Bayern (ohne Grundschulen). Die Staatlichen Rechnungsprüfungsämter haben im Schulbereich 49 von insgesamt 860 Maßnahmen geprüft. Neben einzelfallbezogenen Feststellungen fielen insbesondere die nachfolgend dargestellten Mängel bis hin zur Missachtung haushaltsrechtlicher Grundsätze bei der Konzeption und Durchführung der Förderrichtlinie auf.
23.2.1 Höchstfördersatz
Nach der Verwaltungsvereinbarung mit dem Bund und den Bayerischen Haushaltsvollzugsrichtlinien dürfen Förderhöchstsätze nur im Einzelfall und nach sachgemäßer Ermessensausübung ausgeschöpft werden. Hierbei sind die unterschiedliche finanzielle Leistungsfähigkeit und das Eigeninteresse der Zuwendungsempfänger zu berücksichtigen. Das Staatsministerium nutzte den vorgesehenen Ermessensspielraum nicht und setzte einen Regelfördersatz von 90% (= Höchstsatz) fest, der in der Bewilligungspraxis ausnahmslos zur Anwendung kam.
23.2.2 Bedarfsprognose
Dem Staatsministerium war weder die Zahl der Ganztagesplätze bekannt noch wurde der tatsächliche Bedarf erhoben. Es verteilte die Mittel in den ersten Jahren nach dem sog. Windhundprinzip. Insgesamt kam es zu einer regionalen Konzentration der Fördermittel und zu einer Bevorzugung der Gymnasien gegenüber der Hauptschule und weiterführenden Schulen. Die Hauptschule als meist besuchte Schulart Bayerns erhielt nur rund ein Viertel der Mittel. Bis zur Programmschließung wurde jeder zweite Euro in den Ausbau des G 8 investiert. Besonders in den Jahren 2003 und 2004 wurden Maßnahmen gefördert, die lediglich der qualitativen Verbesserung bestehender Ganztagsbetreuungseinrichtungen dienten. Ferner wurden Mittel für Maßnahmen bewilligt, die noch nicht ausreichend baureif waren. Diese Fördermittel fehlten in den kommenden Jahren bei notwendigen Baumaßnahmen. Die nicht vorhandene Bedarfsprognose und der beschleunigte Ausbau des G 8 führten letztlich zur vorzeitigen Schließung des Förderprogramms im Schulbereich.3
Für die im Programm IZBB nicht mehr berücksichtigten privaten Maßnahmeträger4 wurde 2007 eine Nachfolgeförderung mit unterschiedlichen Fördersätzen zwischen 65 und 100% nach dem Bayerischen Schulfinanzierungsgesetz beschlossen. Kommunale Maßnahmeträger erhalten Fördermittel nach dem FAG mit einem Zuschlag von 15%.
23.2.3 Zielkontrolle
Eine Zielerreichungsquote war weder in der Bund-Länder-Vereinbarung noch in der Förderrichtlinie enthalten. Die Regierungen hatten keine Zahlen über die vorhandenen und neu zu schaffenden Ganztagsbetreuungsplätze. Auch die Verwendungsnachweise enthielten in der Regel keine Angaben über die tatsächlich vorhandenen Plätze. Das Staatsministerium konnte die Zahl der neu geschaffenen Plätze ebenfalls nicht benennen.
Nach den Feststellungen des ORH wurden in den Jahren 2003 und 2004 alle beantragten Maßnahmen als Verbesserung des Ganztagsangebots gefördert, wie der Einbau einer weiteren Toilettenanlage und der Kauf eines Schließfachschranks. Inhaltliche Bewertungen zur qualitativen Verbesserung der Ganztagsangebote waren aber häufig nicht erkennbar,
23.2.4 Mitnahmeeffekte
Teilweise überschnitten sich die Fördertatbestände nach IZBB mit anderen Landesprogrammen. Aufgrund des höheren Fördersatzes entschieden sich die Maßnahmeträger für eine IZBB-Förderung. Darüber hinaus wurden nachträglich IZBB-Mittel gewährt, obgleich eine verbindliche Finanzierung mit staatlichen Mitteln schon vorgelegen hatte. Die Projekte wären auch mit einem geringeren Fördersatz durchgeführt worden. In der Folge kam es allein bei drei geprüften Maßnahmen zu Mitnahmeeffekten von 1,7 Mio. €.
23.2.5 Vorzeitiger Maßnahmebeginn
Bei über 50% der geprüften Maßnahmen wurde mit den Arbeiten vorzeitig begonnen, teilweise waren sie zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgeschlossen. Die Förderung war deshalb für die Durchführung der Maßnahme nicht erforderlich. Die Bewilligungen verstoßen gegen zwingende haushaltsrechtliche Bestimmungen.
Das Staatsministerium sah wegen des aus der Bund-Länder-Vereinbarung übernommenen Wortlauts der Förderrichtlinie fälschlicherweise keine Notwendigkeit zur Genehmigung eines vorzeitigen Maßnahmebeginns. Angaben des Maßnahmeträgers, ob mit den Arbeiten bereits begonnen war, wurden deshalb gar nicht erhoben.
Erst am 05.03.2004 verfügte das Staatsministerium nach Intervention des Staatsministeriums der Finanzen, dass jeweils im Einzelfall eine Genehmigung des vorzeitigen Maßnahmebeginns auszusprechen sei. Diese neue Regelung galt (rückwirkend) für alle ab dem 01.01.2003 begonnenen Maßnahmen. Wie mit bereits vorliegenden Anträgen zu verfahren ist, wurde nicht geregelt.
Die Regierungen haben in Kenntnis dieses Schreibens trotzdem noch in den Jahren 2004 und 2005 fehlerhafte Bewilligungsbescheide erlassen.5 Aufgrund der Prüfung durch den ORH forderte das Staatsministerium für Unterricht und Kultus am 25.07.2007 die Regierungen auf, in Einzelfallprüfungen anhand vom Staatsministerium erarbeiteter Kriterien über eine mögliche Rückforderung zu entscheiden.
Nach Berechnungen des ORH sind davon mehr als 3,2 Mio. € Fördermittel betroffen. Die Mittel wurden nicht zurückgefordert, weil die Verwaltung sowohl gegenüber privaten als auch kommunalen Zuwendungsempfängern Vertrauensschutz einräumte. Die Ermessensausübung im Hinblick auf den Vertrauensschutz wurde in stark schematisierter Form vorgenommen.
23.2.6 Förderstandards, Kostenrichtwerte
Investitionen können nach den IZBB-Richtlinien gefördert werden, wenn sie bedarfsgerecht sind und von den Regierungen als wirtschaftlich und zweckmäßig anerkannt werden. Die bewilligenden Stellen haben bei ihrer Förderentscheidung auf die zentrale Rolle des individuellen pädagogischen Konzepts abgestellt.
Das pädagogische Konzept kann aber die Prüfung der Wirtschaftlichkeit nicht ersetzen. Nach Auffassung des ORH sollten bereits im Vorfeld Förderstandards festgelegt und diese möglichst über Festbeträge bzw. Pauschalen ähnlich der Förderung nach dem FAG abgegolten werden. Die dort geltenden Kostenrichtwerte dienen der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit bei der Förderung kommunaler Hochbaumaßnahmen. Nach den Richtlinien sollten sie auch bei der IZBB-Förderung zur Festsetzung des zuschussfähigen Aufwands als Orientierung dienen.
Die Prüfung des ORH ergab, dass die Kostenrichtwerte nach dem FAG um bis zu 160% überschritten wurden, ohne dass diese Abweichungen im Einzelnen in den Bewilligungsakten dokumentiert und begründet waren.
23.3 Stellungnahme der Verwaltung
Die Zielvorgabe aus der Präambel zur Bund-Länder-Vereinbarung, den Anstoß für ein bedarfsorientiertes Angebot im Ganztagsschulbereich in allen Regionen zu geben, sei mit der Förderung von 860 Maßnahmen im Bereich des Staatsministeriums klar erfüllt. Einem zeitlich und finanziell begrenzten Investitionsprogramm sei es immanent, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Erschöpfung der verfügbaren Fördermittel eintrete. Bis einschließlich 2005 hätten alle (fristgerecht und prüffähig) beantragten Investitionsmaßnahmen gefördert werden können, zugleich sei überall der programmintendierte Anstoß für ein bedarfsorientiertes Angebot gegeben worden. Für eine Kontingentierung nach Bewilligungsjahren oder Regierungsbezirken habe somit keine Veranlassung bestanden.
23.4 Schlussbemerkung des ORH
Das Staatsministerium wurde seiner Steuerungs- und Koordinierungsfunktion nicht gerecht. Es stellte keine strategischen Überlegungen für den Einsatz der Fördermittel an und überließ die Verteilung dem Antragsverhalten der Maßnahmeträger. Es wurde versäumt, qualitative und quantitative Vorgaben zu machen. Eine Erfolgskontrolle fand nicht statt.
Die festgestellte Anzahl von 860 geförderten Maßnahmen alleine lässt keine Aussage zu, ob die Mittel bedarfsgerecht verteilt wurden. Zu Programmbeginn wären eine Bestandsaufnahme der vorhandenen und eine regional differenzierte Ermittlung der benötigten Ganztagesplätze erforderlich gewesen. Dies wäre die notwendige Basis für eine konkrete Zielvorgabe der zu schaffenden Ganztagesplätze gewesen. Erst dann hätte über die bedarfsgerechte Verteilung der Mittel und Festlegung der Fördersätze entschieden und eine wirksame Erfolgskontrolle durchgeführt werden können.
Die Förderung von Maßnahmen, die nach den eigenen Vorgaben nicht vorrangig waren, die undifferenzierte Anwendung eines Höchstfördersatzes von 90% und die Berücksichtigung bereits fertiggestellter bzw. in Bau befindlicher Vorhaben führte zu einer Fehlleitung von Mitteln. In der Folge wurde eine Vielzahl von Anträgen abgelehnt. Schließlich mussten dafür bayerische Mittel nach dem FAG und dem Bayerischen Schulfinanzierungsgesetz eingesetzt werden.
Der ORH ist der Auffassung, dass zu Unrecht gewährte Zuwendungen von kommunalen Maßnahmeträgern zurückgefordert werden müssen. Die Kommunen können grundsätzlich nicht auf den Fortbestand rechtswidriger Bescheide vertrauen.
1) 20% der Mittel werden bewirtschaftet durch das Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen.
2) Bekanntmachung des Staatsministeriums vom 12.08.2003 Gz. IV.4-5S7369.1-4.13711.
3) Nach Angaben des Staatsministeriums wurden im Jahr 2006 insgesamt 217 Anträge abgelehnt bzw. nicht mehr umfassend bewilligt.
4) Einschließlich der kirchlichen Maßnahmeträger.
5) Die vom ORH beanstandeten 32 Fälle wurden erst nach dem 05.03.2004 bewilligt.