Jahresbericht 2008

TNr. 28: Förderung einer neuen Straßenbahnhaltestelle

Straßenbahnhaltestelle

Eine Regierung hat eine neue Straßenbahnhaltestelle mit 6,1 Mio. € gefördert, obwohl eine gute Verkehrserschließung bereits vorhanden war.

Die Zuwendung ist zurückzufordern.

28.1    Ausgangslage


Der ORH hat zusammen mit einem Staatlichen Rechnungsprüfungsamt die Förderung eines Verkehrsunternehmens geprüft.1  Dieses Unternehmen erhielt eine Förderung für die Verbindung zweier Straßenbahnendhaltestellen mit Bau einer weiteren Haltestelle. Primäres Förderziel war die noch bessere Anbindung eines neuen Dokumentationszentrums. Die Maßnahme ist mit 6,1 Mio. € gefördert worden.2

28.2    Prüfungsfeststellungen


28.2.1    Ausreichende Erschließungsqualität


Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ist als Aufgabe der Daseinsvorsorge definiert. Die „Bereitstellung lebenswichtiger Leistungen für die Bevölkerung“ durch die öffentliche Hand war jedoch bereits durch die vorhandene ausgezeichnete Erschließung gegeben. Dies zeigen nachfolgende Fakten:

  • Nach abschließender Messung des Zuwendungsempfängers beträgt die Luftlinie zwischen den Endhaltestellen und dem Dokumentationszentrum 320 bzw. 405 m. Der Grenzwert für eine ausreichende Verkehrsbedienung beträgt in Gebieten mit hoher Nutzungsdichte in Ober- bzw. Mittelzentren 500 m Luftlinie.
  • Die den Luftlinien zuzuordnenden Fußwege werden mit 425 bzw. 560 m angegeben. Nach den Grundsätzen der kommunalen Bauleitplanung ist die Erschließungsqualität für eine fußläufige Entfernung unter 500 m als sehr gut, bis zu 1.000 m als gut zu bewerten.
  • Im Übrigen befanden sich die damaligen Straßenbahnendhaltestellen unmittelbar am Rand eines Freizeitgeländes, das durch weitere öffentliche Verkehrsmittel (S-Bahn, U-Bahn, Bushaltestellen u. a. direkt vor dem Dokumentationszentrum) bestens erschlossen ist. Außerdem waren und sind für den Individualverkehr ausreichend Parkmöglichkeiten vorhanden.


Die Maßnahme war somit nicht förderfähig, da sie zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse nicht dringend erforderlich war (Nr. 4.1.2 RZ-ÖPNV 1984).

Das Verkehrsunternehmen selbst war ebenfalls der Ansicht, dass die bestehende Erschließung des neuen Dokumentationszentrums ausreichend sei und jede weitere Maßnahme sein Ergebnis verschlechtern würde. Dennoch hat es nach einem Stadtratsbeschluss vom 19. Juli 2000 eine Förderung beantragt.

28.2.2    Wirtschaftlichkeit

Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung des Zuwendungsempfängers befasste sich lediglich mit baulichen Varianten. Die Möglichkeit, den Ist-Zustand beizubehalten, wurde nicht untersucht und von der Regierung auch nicht hinterfragt. Auf dieser Basis hätte die Regierung ihre Förderentscheidung nicht treffen dürfen.

Der ORH hat diese Wirtschaftlichkeitsbetrachtung mit den Zahlen des Verwendungsnachweises modifiziert. Berücksichtigt wurden für einen Betrachtungszeitraum von 25 Jahren die Einsparung eines Fahrzeugs, Einsparungen beim Fahrpersonal sowie Barwertnachteile für die Unterhaltung der längeren Gleisstrecke. Daraus ergibt sich ohne Einbeziehung der Förderung ein Barwertnachteil von 6,6 Mio. €. Die Maßnahme war daher auch mangels Wirtschaftlichkeit nicht förderfähig (Nr. 4.1.5 RZ-ÖPNV 1984).

28.2.3    Fehlerhafte Abrechnung

Der Verwendungsnachweis setzt sich aus fünf Zwischenverwendungsnachweisen zusammen, in denen einzelne Rechnungsposten mehrfach enthalten sind. Die Führung des Verwendungsnachweises war damit nicht transparent.

Die Bauausgabebücher wurden nicht wie gefordert zeitnah, sondern erst nachträglich für die Verwendungsnachweise aus der Buchhaltung des Zuwendungsempfängers erstellt. Diese unzulängliche Verwendungsnachweisführung hatte zur Folge, dass der Zuwendungsempfänger unberechtigt Zuwendungen erhalten hat. So wurden durch die Aufteilung von Rechnungsbeträgen und Umbuchungen 183.000 € als zuwendungsfähig abgerechnet, obwohl hierfür keine Ausgaben angefallen waren. Durch die Bildung von Rückstellungen und Doppelabrechungen wurden weitere 206.000 € zu Unrecht geltend gemacht. Außerdem wurden Sicherheitseinbehalte von 24.000 € sowie Kosten für Planung und Bauleitung von 41.000 € fälschlicherweise angesetzt. Der Zuwendungsempfänger hat insgesamt 52.000 € für Leistungen abgerechnet, die nicht zur Maßnahme gehörten. Andererseits hat er in seinem Verwendungsnachweis vergessen, eine Rechnung über 80.000 € anzusetzen. Insgesamt wurden daher 426.000 € als nicht zuwendungsfähig gewertet.

Die Zuwendung wurde inzwischen zurückbezahlt.

28.3    Stellungnahme der Verwaltung

Nach Ansicht der Verwaltung erfüllte die Maßnahme die Fördervoraussetzungen; des Weiteren sei auch die Zahl der Straßenbahnfahrgäste überdurchschnittlich gestiegen. Eine Rücknahme der Zuwendungsbescheide wäre ermessensfehlerhaft.

Mängel in der Verwendungsnachweisführung würden künftig vermieden.

28.4    Schlussbemerkung des ORH

Die Maßnahme erfüllt die Zuwendungsvoraussetzungen in mehrfacher Hinsicht nicht. Sie war zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse nicht erforderlich. Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit wurde nicht beachtet. Die Regierung hat die Förderung zu Unrecht gewährt. Die Zuwendung ist deshalb zurückzufordern.


1) Vgl. ORH-Bericht 2007 TNr. 26.

2) 75% nach GVFG, 10% nach FAG.