TNr. 32: Zuwendungen aus dem Europäischen Sozialfonds

Zahlreiche, vorwiegend mit EU-Mitteln geförderte Maßnahmen unterscheiden sich trotz vergleichbarer Konzeption bei den Kosten zum Teil bis zum Fünffachen. Es bestehen erhebliche förderrechtliche Vollzugsdefizite. Notwendig sind insbesondere klare Zuständigkeiten, eine deutlich kritischere Prüfung der Kosten und eine aussagefähige Erfolgskontrolle.
32.1 Der Europäische Sozialfonds
Mit den Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) sollen die Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitskräfte innerhalb der EU verbessert werden. Während der ESF zunächst durch die Europäische Kommission zentral verwaltet wurde, sind seit 1988 die Mitgliedstaaten für die Umsetzung zuständig. Für die Maßnahmen haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission über mehrere Jahre laufende Programme vorzulegen.
Nach den genehmigten Programmen für die Jahre 2000 bis 2006 waren in Bayern Maßnahmen für die folgenden zwei Ziele und deren Schwerpunkte vorgesehen:
- Ziel 2
- Wettbewerbsfähige Unternehmen - zukunftsfähige Arbeitsplätze
- Forschung, Technologie, Information, Kompetenzentwicklung
- Lebenswerte Stadtstrukturen und leistungsfähige ländliche Räume
- Ziel 3
- Aktive und präventive Arbeitsmarktpolitik
- Gesellschaft ohne Ausgrenzung
- Berufliche und allgemeine Bildung, lebenslanges Lernen
- Anpassungsfähigkeit und Unternehmergeist
- Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern
- Lokales Kapital für soziale Zwecke
Für diese Zwecke standen im Einzelplan 10 in den Jahren 2000 bis 2006 EU-Mittel von 291 Mio. € zur Verfügung.1,2 Mit diesen Mitteln von jährlich über 40 Mio. € wurden die zu fördernden Maßnahmen mit Höchstsätzen von 45 bis 50% finanziert. Die weiteren Finanzierungsbausteine (Kofinanzierung) waren andere öffentliche Mittel (z. B. Arbeitslosengeld II), private Mittel (z. B. Beiträge der Arbeitgeber) und die Eigenbeteiligung der Maßnahmeträger.
32.2 Feststellungen der Rechnungsprüfung
Der ORH hat 2007 zusammen mit drei Staatlichen Rechnungsprüfungsämtern die Förderung von aus dem ESF finanzierten Maßnahmen für die Jahre 2000 bis 2006 beim Staatsministerium und dem ihm nachgeordneten Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) geprüft. Außerdem wurden Erhebungen bei den Berufsbildungseinrichtungen als den wesentlichen Zuwendungsempfängern vorgenommen. Insgesamt wurden 69 Maßnahmen geprüft. Die untersuchten Fördermaßnahmen betreffen vor allem die Jahre 2003 bis 2005, weil von geprüften Verwendungsnachweisen ausgegangen wurde. Es ergaben sich wesentliche Feststellungen zum Förderverfahren, zu den Maßnahmekosten und zur Erfolgskontrolle.
32.2.1 Förderverfahren
Die Förderanträge werden beim Staatsministerium eingereicht. Dort wird die grundsätzliche Förderfähigkeit festgestellt. Bei dieser Vorprüfung beschränkt sich das Staatsministerium in der Regel darauf, ob das Vorhaben den jeweiligen Schwerpunkten bzw. Politikbereichen der ESF-Vorgaben entspricht und die finanziellen Voraussetzungen im Großen und Ganzen gegeben sind. Die Einzelheiten der Umsetzung der Maßnahmen spielen dabei kaum eine Rolle, sofern sie überhaupt schon näher bekannt sind. Nach dieser Vorprüfung wird entweder vom Staatsministerium oder vom ZBFS der vorzeitige Maßnahmebeginn genehmigt. Auf dieser Grundlage setzen die Projektträger anschließend ihr Vorhaben um. Das weitere Förderverfahren wird vom ZBFS abgewickelt, das auch den endgültigen Förderbescheid erlässt.
Nach Auffassung des ORH führt insbesondere die Doppelzuständigkeit im Förderverfahren dazu, dass die Projektrealisierung und die einzelnen Kostenpositionen nicht kritisch genug untersucht werden. Das ZBFS kann die notwendige haushaltsrechtliche Prüfung (insbesondere Notwendigkeit und Angemessenheit der Förderung, Umfang der förderfähigen Ausgaben, Sicherung der Gesamtfinanzierung) nicht mehr steuernd durchführen, weil die Projekte wegen der Zustimmung zum vorzeitigen Maßnahmebeginn in den meisten Fällen bereits laufen, im Einzelfall auch schon abgeschlossen sind. Der ORH hält es daher für erforderlich, das gesamte Förderverfahren auf das ZBFS zu übertragen.3
32.2.2 Mängel im Fördervollzug
Zahlreiche Förderfälle wurden nicht zeitnah bearbeitet; dies gilt für den Erlass der Bewilligungsbescheide und vor allem für die Prüfung der Verwendungsnachweise. Letzteres geschieht lange Zeit nach Abschluss der Projekte.
Die Gemeinkosten, die nicht in vollem Umfang der geförderten Maßnahme zuzurechnen sind, müssen vom Zuwendungsempfänger durch geeignete Berechnungsmethoden aufgeteilt und nachgewiesen werden. Pauschalierungen, kalkulatorische Ermittlungen oder zugrunde gelegte Gutachten waren rechnerisch bzw. sachlich nicht immer nachvollziehbar. So rechnete ein großer Maßnahmeträger seine "nicht pädagogischen" Kosten nicht nach den tatsächlichen Ausgaben ab, sondern verwies auf ein externes Gutachten. Die dort angeführten Sätze waren auch auf Nachfrage nicht belegbar. Das Gutachten ist daher als Grundlage für die Abrechnung nicht geeignet.
Obwohl in den Förderbescheiden die Auflage enthalten ist, für die geförderte Maßnahme einzeln Buch sowie Klassenbücher zu führen, kommen zahlreiche Träger diesen Verpflichtungen nicht bzw. nicht ordnungsgemäß nach. Die Klassenbücher waren in einigen Fällen fehlerhaft bzw. überhaupt nicht vorhanden. Daher waren die geltend gemachten Kosten für das geförderte Projekt schwer oder überhaupt nicht zuzuordnen.
Projektträger bezahlen ihr eingesetztes Personal häufig nicht nach den Tarifvorschriften für den öffentlichen Dienst. Sofern das Personal höher als vergleichbare staatliche Dienstkräfte bezahlt wird, ist eine Förderung dieser Besserstellung unzulässig.
Ungeachtet dieser Mängel bei der Abrechnung zahlte die Verwaltung die Fördermittel vollständig aus.
32.2.3 Maßnahmekosten
Der ORH hat bei einer erheblichen Anzahl von geförderten Projekten Kostenunterschiede in einer Größenordnung festgestellt, die nicht auf örtliche Gegebenheiten zurückgeführt werden können. So betrugen bei 21 Maßnahmen für arbeitslose Jugendliche die Gesamtkosten je Unterrichtseinheit (UE) zwischen 62 und 144 €. Noch unterschiedlicher waren die Kosten des Bildungspersonals. Diese lagen zwischen 28 und 94 € je UE.
Ähnliches zeigte sich bei 46 Maßnahmen für langzeitarbeitslose Alleinerziehende. Hier ergaben sich Gesamtkosten von 53 bis 147 € je UE. Die Kosten des Bildungspersonals reichten von 19 bis 92 € je UE und unterschieden sich damit fast bis zum Fünffachen.
Ferner wurde festgestellt, dass Maßnahmen des gleichen Inhalts und desselben Trägers zum Teil erhebliche Abweichungen bei der Maßnahmedauer aufweisen. So dauerten 31 Maßnahmen "Go 4 Jobs" eines Trägers zwischen 287 und 395 Kalendertage. Hiermit vergleichbar waren 29 Maßnahmen eines anderen Trägers mit dem Inhalt "Integration durch Arbeit". Die Zeitdauer lag hier zwischen 209 und 347 Kalendertage.
Die Maßnahmekosten werden nicht ausreichend hinterfragt. Bei weitgehend ähnlichen Projekten sollten Inhalt, Dauer und Aufwand auf ein annähernd einheitliches und angemessenes Niveau gebracht werden. Auch sollten Maßnahmen nicht länger als erforderlich dauern. Die Teilnehmer sollten nicht unnötig lange in einer Maßnahme gebunden sein, sondern in kürzester Zeit (wieder) dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Der ORH empfiehlt - wie bereits bei der Prüfung im Jahr 2000 - erneut, geeignete Maßnahmen dem Wettbewerb zu unterwerfen, d. h. durch Ausschreibungen zu vergeben, wie dies auch die Arbeitsverwaltung und andere Länder praktizieren. Geeignet dafür sind vor allem Maßnahmen, die in größerer Anzahl mit weitgehend gleichem Inhalt durchgeführt werden. Die Kostenvergleiche zeigen, dass erhebliche Fördermittel eingespart werden können. Diese könnten gegebenenfalls für andere förderwürdige Zwecke verwendet werden.
32.2.4 Erfolgskontrolle
Die Evaluierung der EU bezieht sich vor allem darauf, dass die vorhandenen Mittel zeitgerecht und vollständig an Zuwendungsempfänger ausgereicht wurden. Diese Evaluierung ist kein Ersatz für eine eigenständige Erfolgskontrolle. Der ORH hat festgestellt, dass eine Kontrolle, ob der Einsatz der Mittel wirksam und wirtschaftlich war und ob die Maßnahme ihr Ziel erreicht hat, nicht erfolgt ist und auf der Basis der vorhandenen Daten auch nicht erfolgen kann. Denn die Sachberichte der Zuwendungsempfänger sind häufig wenig aussagekräftig. Angaben über die Zahl von Teilnehmern, die in Arbeit oder in Ausbildung vermittelt wurden, fehlen teilweise, ebenso wie nähere Angaben über Art, Umfang und Dauer der Beschäftigungsverhältnisse. Daher ist eine Bewertung, wie viele Teilnehmer tatsächlich auf Dauer in den Arbeitsprozess integriert wurden, nicht möglich.
Angesichts jährlicher Mittel von 40 Mio. € hält der ORH eine Erfolgskontrolle4 für unerlässlich. Dies erfordert allerdings klare Zieldefinitionen und die Sammlung notwendiger Daten einschließlich einer nachträglichen Teilnehmerbefragung.
32.3 Stellungnahme des Staatsministeriums
Das Staatsministerium weist darauf hin, dass bereits wesentliche Änderungen im Bewilligungsverfahren und in den Verwaltungsabläufen umgesetzt wurden. Es wird ferner prüfen, welche Förderbereiche sich für eine Ausschreibung eignen. Durch die geplante Pauschalierung der Gemeinkosten soll außerdem eine Vereinfachung erreicht werden. Darüber hinaus würden weitere Lösungsvorschläge für eine wirksamere Kostenkontrolle erarbeitet.
Das Staatsministerium hält einen Vergleich der Maßnahmekosten nach dem Stand der Bewilligung für problematisch und würde als Vergleichsmaßstab die abgerechneten Projektträgerkosten vorziehen.
32.4 Schlussbemerkung des ORH
Der ORH hatte bereits im Jahr 2000 Maßnahmen des Förderzeitraums 1994 bis 1999 geprüft. Die Situation hat sich nicht wesentlich verbessert. Auch diese Prüfung hat erneut Vollzugsdefizite aufgezeigt.
Die Gegenüberstellung der Daten - die der Bewilligung zugrunde liegen - verdeutlicht, dass zum Zeitpunkt der Genehmigung keine ausreichend kritische Betrachtung der Maßnahmekosten stattgefunden hat. Die verglichenen Maßnahmen waren in ihren Bildungszielen weitgehend inhaltsgleich. Ein Vergleich ist daher aussagekräftig. Notwendig erscheint auch eine klare und nachvollziehbare Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Staatsministerium und den nachgeordneten Behörden. Die aufgezeigten Vollzugsdefizite sind zu beheben. Es sind dabei auch die notwendigen förderrechtlichen Konsequenzen gegenüber den Zuwendungsempfängern zu ziehen (z. B. Rückforderung). Um die öffentlichen Mittel wirksam und wirtschaftlich einzusetzen, ist eine Erfolgskontrolle unverzichtbar.
Der ORH begrüßt im Übrigen die eingeleiteten Schritte. Die vorgesehenen weiteren Verbesserungen sollten zügig umgesetzt werden.
1) In geringerem Umfang standen dem Staatsministerium weitere EU-Mittel aus dem Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) und der Gemeinschaftsinitiative INTERREG zur Verfügung.
2) Zum Vergleich: Die EU-Mittel für 2007 bis 2013 betragen rd. 241 Mio. €.
3) Vgl. auch TNr. 3.2.4 der Organisationsrichtlinien der Staatsregierung vom 06.11.2001, wonach die Staatsministerien von Vollzugsaufgaben zu entlasten sind.
4) Vgl. auch ORH-Bericht 2006 TNr. 15