TNr. 19: Warenwirtschaftssystem der Polizei

Die Einführung eines Warenwirtschaftssystems bei der Polizei kostete mit 16,6 Mio. € fast doppelt so viel wie ursprünglich geplant. Die erzielten Einsparungen decken bisher nicht einmal die laufenden Betriebskosten. Der ORH hält es für notwendig, die Geschäftsprozesse zu straffen.
19.1 Projekt „Marktplatz der Polizei“
Mehrere Versuche bei der Polizei, die Material- und Geräteverwaltung wirksam durch IuK-Technik zu unterstützen, waren in den 90er-Jahren erfolglos.1 Deshalb hatte der Landtag die Staatsregierung ersucht, bis spätestens 1. Januar 2002 ein entsprechendes Verfahren einzuführen.2 Das Staatsministerium beauftragte im März 2000 das Landeskriminalamt, ein Warenwirtschaftssystem zu beschaffen und zu implementieren. Das Projekt erhielt den Namen „Marktplatz der Polizei“. Es sollte nicht nur die Bestandsverwaltung umfassen, sondern auch Vergabe, Beschaffung, Finanzverwaltung, Instandsetzung, Vorgangsverwaltung und Controlling.
Eine Ausschreibung (Offenes Verfahren), mit der eine geeignete Standardsoftware beschafft werden sollte, wurde im Juni 2001 wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit aufgehoben. Im anschließenden Verhandlungsverfahren im Oktober 2001 erhielt ein integriertes System (Preis 2,4 Mio. €) den Zuschlag. Dieses musste jedoch noch an die polizeilichen Anforderungen angepasst werden. Seit 01.07.2004 wird es bei der Polizei mit den Modulen Beschaffung, Anlagenwirtschaft/Lagerverwaltung/Instandhaltung und Finanzen eingesetzt. Etwa 3.000 Beschäftigte arbeiten regelmäßig mit dem Marktplatzsystem, die meisten davon als Besteller und 247 Vollzeitkräfte in den Bereichen Zentraleinkauf, Haushalt und Bestandsverwaltung.
Der ORH hat 2007 zusammen mit einem Staatlichen Rechnungsprüfungsamt das Projekt geprüft.
19.2 Kostensteigerungen
19.2.1 Von 2000 bis 2006 sind für das Vorhaben Kosten von 16,6 Mio. € entstanden. Sie sind damit fast doppelt so hoch, wie vom Staatsministerium veranschlagt.3
19.2.2 Höhere Kosten bei der Projektgruppe entstanden insbesondere aufgrund verzögerter Projektabwicklung, zusätzlicher Anpassungsarbeiten (vgl. TNr. 19.2.4) und der Einschaltung externer Dienstleister für die Überarbeitung des Fachkonzepts sowie der Durchführung des Vergabeverfahrens.
Zur Notwendigkeit der externen Unterstützung legt das Staatsministerium dar, dass eigenes Personal mit entsprechendem Know-how nicht zur Verfügung gestanden habe. Ferner sollte nach den Fehlern im Vergabeverfahren WaWiPol4 eine auch von Dritten nicht anfechtbare Auftragsvergabe sichergestellt werden. Der ORH hält dies nicht für überzeugend. Bei einem jährlichen Beschaffungsvolumen von über 260 Mio. € verfügt die Polizei über ausreichendes Know-how für das Vergabeverfahren. Mit eigenem Personal hätten daher Kosten eingespart werden können.
19.2.3 Das Marktplatzsystem ist sehr komplex, unübersichtlich und vielfach wenig benutzerfreundlich. Es bedarf deshalb einer aufwendigen System- und Anwenderbetreuung (18 Vollzeitkräfte). Die Betreuungskapazität wurde auch nach der Einführungsphase nicht wie geplant reduziert, sondern soll künftig sogar noch aufgestockt werden. Der ORH forderte deshalb, die Systemfunktionen besser auf die zu unterstützenden Geschäftsprozesse zuzuschneiden sowie die Benutzerschnittstelle zu vereinheitlichen. Dies will das Staatsministerium aufgreifen und strebt hier Verbesserungen an.
19.2.4 Statt 2,4 Mio. € (Oktober 2001) kostete das Marktplatzsystem einschließlich notwendiger Softwareergänzungen bislang 4,4 Mio. €. Die Kosten belaufen sich sogar auf 5 Mio. €, wenn die Pflegekosten mit einbezogen werden, die in einem Zeitraum entstanden sind, in dem das System noch gar nicht genutzt werden konnte. Damit ist das System fast genauso teuer gekommen wie das Angebot im Offenen Verfahren (5,1 Mio. €), das vom Staatsministerium selbst als unwirtschaftlich beurteilt wurde. Im Offenen Verfahren lag zudem ein Festpreisangebot vor, das im Wesentlichen alle Anforderungen aus dem Leistungsverzeichnis beinhaltet hätte. Im Verhandlungsverfahren wurde dagegen nur eine Basisversion erworben, die nachträglich um wichtige Funktionen ergänzt werden musste. Im Ergebnis hat die Polizei also eine deutlich geringere Leistung erhalten. Dafür hat sie noch einen Preis bezahlt, den sie bei einem größeren Leistungsumfang selbst für überhöht hielt.
Das Staatsministerium weist auf geringere Pflegekosten im Vergleich zum Offenen Verfahren hin (statt 550.000 nur 254.000 € pro Jahr), wodurch bis Ende 2006 1,5 Mio. € eingespart worden seien. Dabei lässt es Mehrkosten von 2,1 Mio. € außer Acht, die für den eigenen Personalaufwand der Polizei bei der Anpassung des Marktplatzsystems angefallen sind.
Um die Kosten zu begrenzen, hätte die Polizei sich bereits bei der Ausschreibung auf die unbedingt notwendigen Funktionen beschränken sollen. Nachdem die Ausschreibung kein wirtschaftliches Ergebnis gebracht hatte, hätte auch die Festlegung auf ein integriertes Verfahren geprüft werden müssen. Mit ELWIS5, BayMBS6, BayIVS7 und WeFuSys8 waren bereits IuK-Verfahren im Einsatz, die zumindest Teilbereiche der geforderten Funktionalität abdeckten. Die Alternative, diese Verfahren auszubauen und über Schnittstellen zu verbinden, wurde vom Staatsministerium aber frühzeitig verworfen. Es vertritt auch weiter die Auffassung, dass ein Zusammenbinden der vorhandenen „Software-Bruchstücke“ keine technisch, funktional und wirtschaftlich sinnvolle Lösung ergeben hätte. Der ORH weist darauf hin, dass in einem Gutachten die Kosten für eine funktionale Erweiterung von ELWIS auf nur 0,8 Mio. € geschätzt wurden. BayMBS (inzwischen IHV9) und BayIVS sind immerhin als Basiskomponenten der einheitlichen IuK-Infrastruktur der Staatsverwaltung festgelegt.
19.2.5 Vermeidbare zusätzliche Kosten von 0,9 Mio. € sind entstanden, weil zunächst eine Schnittstelle des Marktplatzsystems zu BayMBS gefordert, später aber stattdessen eine direkte Anbindung an die Staatsoberkasse realisiert wurde. Dadurch sei nach Auffassung des Staatsministeriums vermieden worden, neben dem Marktplatzsystem auch noch BayMBS zu pflegen und zu administrieren. Ursächlich hierfür sei die notwendige und zeitaufwendige Abstimmung mit dem Staatsministerium der Finanzen gewesen.
19.3 Projektmängel
19.3.1 Die Leitung des Projekts wurde vom Staatsministerium des Innern aufgeteilt. Sie wurde dem Landeskriminalamt (Teilprojekt 1) und dem Polizeipräsidium Mittelfranken (Teilprojekt 2) übertragen. Dies geschah, weil das Landeskriminalamt durch andere vordringliche IuK-Projekte keine freien Kapazitäten hatte. Es übernahm allerdings auch im Teilprojekt 2 wichtige operative Aufgaben.
Das Staatsministerium räumt ein, dass es beim Übergang der Projektbetreuung vom Teilprojekt 1 auf das Teilprojekt 2 monatelang personelle Probleme gegeben habe. Infolge dieser Schwierigkeiten habe sich das Staatsministerium selbst in das operative Geschehen eingeschaltet. Der ORH hätte es für richtig erachtet, wenn das Landeskriminalamt als Zentralstelle für die polizeiliche Datenverarbeitung (Art. 7 Abs. 1 Polizeiorganisationsgesetz) insgesamt für das Projekt verantwortlich gewesen wäre. Die Zuständigkeiten aufzuteilen und anschließend zu vermischen, führte zu zusätzlichem Koordinierungsaufwand und Informationsmängeln. Das Staatsministerium hätte beim LKA die personellen Voraussetzungen schaffen müssen, um das Projekt reibungslos durchführen zu können.
19.3.2 Während der Projektlaufzeit und auch anschließend beim Produktivbetrieb hat die Polizei in erheblichem Umfang pauschale Dienstleistungen der Softwarelieferantin in Anspruch genommen. Das Staatsministerium betont, es seien immer nur die jeweils erforderlichen Personalleistungen abgerufen worden. Nach den Erfahrungen des ORH fallen höhere Kosten an, wenn der Auftraggeber keine konkreten Aufträge vergeben kann.
19.3.3 Endgültig abgenommen wurde das Marktplatzsystem im Januar 2004. Von April bis Juni 2004 wurde es zunächst bei einem, später bei mehreren Polizeiverbänden pilotiert. Dabei traten zahlreiche Systemmängel auf. Ohne diese abzustellen, begann zum 1. Juli 2004 der Produktivbetrieb. Die Folge war, dass monatelang erhebliche technische und fachliche Probleme auftraten. Laufend wurden Systemfunktionen verändert oder ergänzt, die erneut getestet werden mussten. Deshalb konnte die zentrale Koordinierungsstelle für das Marktplatzsystem ihre Aufgaben ohne zusätzliches Personal nicht mehr wahrnehmen.
Das Staatsministerium hält die schnelle Aufnahme des flächendeckenden Echtbetriebs dagegen für richtig. Bei einem so komplexen System würden auch gravierende Fehler oft erst im richtigen Einsatz erkennbar. Nach Auffassung des ORH hätte die Pilotphase genutzt werden müssen, um die dort erkannten Mängel zu beheben. So lief die Pilotierung ins Leere, weil die offenkundigen Probleme mit in den Produktivbetrieb genommen wurden. Diese Vorgehensweise war auch nicht geeignet, bei den Anwendern Akzeptanz für das Verfahren zu schaffen.
19.3.4 Immer wieder kam es bei der Projektdurchführung zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Polizei und der Softwarelieferantin. Insbesondere war oft nicht klar, ob es sich um Fehler oder kostenpflichtige Ergänzungswünsche handelte. Ursächlich dafür waren ungenaue oder fehlende vertragliche Festlegungen.
19.4 Wirtschaftlichkeit
Eine vom ORH durchgeführte Erfolgskontrolle zeigt, dass den bis Ende 2006 angefallenen Kosten von 16,6 Mio. € ein Nutzen von lediglich 3,4 Mio. € gegenübersteht. Am Ende eines fünfjährigen Betrachtungszeitraums führt eine Wirtschaftlichkeitsrechnung zu einem negativen Kapitalwert von 14,6 Mio. €. Der jährliche Nutzen des Marktplatzsystems von 1,7 Mio. € reicht nicht einmal aus, die laufenden Kosten von jährlich 2 Mio. € zu decken. Eine Amortisation der Projektkosten ist nicht absehbar.
19.4.1 Nach Auffassung des Staatsministeriums ist das Marktplatzsystem auch deshalb wirtschaftlich, weil es eine Datei für Einsatzmittel beinhaltet. Mit dieser würden z. B. Waffen, Schutzhelme, Schutzschilde so effizient beschafft, dass sie nur in geringerer Stückzahl und damit kostengünstiger als bisher vorgehalten werden müssen. Die Datei erleichtere es, Polizeieinsätze zu planen, zu steuern und durchzuführen. Damit leiste sie einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der Polizeiarbeit.
Auch der ORH sieht in der Einsatzmitteldatei ein Werkzeug, mit der die polizeilichen Aufgaben adäquat unterstützt werden können. Allerdings werden speziell für Waffen, Schutzwesten und Munition vielfach auch noch separate Listen geführt, weil die Daten im Marktplatzsystem nicht verlässlich sind. Soweit Lagerbestände mit dem Marktplatzsystem reduziert werden konnten, hat dies der ORH in seiner Wirtschaftlichkeitsanalyse berücksichtigt.
19.4.2 Aus Sicht des Staatsministeriums rechtfertigen vor allem qualitative Nutzen den Einsatz des Marktplatzsystems. Der budgetierte Sachhaushalt der Polizei könne ohne ein IuK-System nicht bewirtschaftet werden. Die Budgetierung führe durch den zielgerichteten Einsatz der Sach- und Investitionsmittel, durch optimierte Versorgungsstrukturen und -abläufe zu Effizienzgewinnen. Diese seien zwar nicht bezifferbar, würden jedoch auf jährlich mehrere Millionen Euro geschätzt werden.
Der ORH weist demgegenüber darauf hin, dass die flächendeckende Budgetierung bei der Polizei bereits 1999 eingeführt worden ist und die Bewirtschaftung jahrelang auch ohne Marktplatzsystem möglich war. Mit dem Einsatz der IuK-Technik müssten die Geschäftsprozesse aber nachweisbar effizienter werden.
19.4.3 Das Staatsministerium hält das Marktplatzsystem unabdingbar für ein Controlling der Ressourcen und Versorgungsabläufe der Polizei. Nach den Erfahrungen in der freien Wirtschaft sei durch ein Controlling ein Effizienzgewinn zu erwarten, monetär beziffert werden könne dieser aber nicht.
Der ORH hat bei seiner Prüfung ein übergreifendes Controllingkonzept, das auf dem Marktplatzsystem basiert, indes nicht vorgefunden. Ein durchgängiger Controllingkreislauf aus Ziel, Information, Analyse und Steuerung ist bisher nur vereinzelt verwirklicht. Das Staatsministerium sollte deshalb seine Bemühungen verstärken, im Bereich der Logistik ein Controlling aufzubauen. Die gewonnenen Informationen müssen auch zu konkreten Steuerungsmaßnahmen führen.
19.5 Mögliche Verbesserungen
19.5.1 Die Daten für die Anlagenwirtschaft werden bislang uneinheitlich erfasst, wodurch der Anlagenbestand nicht richtig ausgewertet werden kann. Überwiegend werden auch - entgegen den haushaltsrechtlichen Vorschriften - die Anlagenstandorte nicht mit erfasst.
Das Staatsministerium hat dies mittlerweile erkannt. Die Anlagendaten sollen neu strukturiert und Vorgaben für eine einheitliche Anlagenerfassung erarbeitet werden. Ziel ist es, in allen wichtigen Anlagenbereichen recherchefähige Datenbestände zu erhalten.
19.5.2 Der ORH stellte auch zwei Jahre nach Beginn des Produktivbetriebs teilweise noch beträchtliche Informationsdefizite bei den Anwendern fest. Das Marktplatzsystem wird dadurch immer noch nicht wirksam genutzt. Insbesondere die Anwender der Basisdienststellen sowie solche, die nicht ständig mit dem System arbeiten, müssen noch besser mit dem Verfahren und seinen Möglichkeiten vertraut gemacht werden.
Das Staatsministerium räumt ein, dass das ursprüngliche Schulungskonzept nicht vollständig umgesetzt worden ist. Es beabsichtigt, neben den dezentralen Schulungen einzelner Polizeiverbände künftig verstärkt direkte Schulungen durchzuführen.
19.5.3 Für die Steuerung der Kfz-Zentralwerkstätten setzt die Polizei seit dem Jahr 2000 das System WeFuSys ein. Alle Anlagen, und hierzu gehören auch die Kraftfahrzeuge, werden aber zugleich auch im Marktplatzsystem verwaltet. Es wurde sogar nachträglich um spezielle Funktionen erweitert, um Werkstattaufträge abwickeln zu können. Über ein weiteres vorhandenes Modul könnte auch der wertmäßige Güterverbrauch und der Personalaufwand in den Werkstätten im Marktplatzsystem erfasst werden. Der ORH hält den Einsatz von zwei insoweit redundanten Systemen für überflüssig. Der Einsatz von WeFuSys sollte deshalb zumindest langfristig eingestellt werden.10
19.6 Empfehlungen des ORH
Nach Auffassung des ORH müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden, um die Unwirtschaftlichkeit des Marktplatzsystems zu verringern. Neben den möglichen Verbesserungen sollte zunächst versucht werden, die laufenden Kosten zu reduzieren. So sollten die Geschäftsprozesse in der Logistik, der Bestandsverwaltung und dem Finanzwesen so weit gestrafft werden, dass in diesen Bereichen weniger Personal gebunden ist. Erkenntnisse aus einem systematisch durchgeführten Controlling müssen dazu führen, die Abläufe und Ergebnisse in der Warenwirtschaft weiter zu verbessern. Dies gilt auch deshalb, weil aufgrund der Polizeiorganisationsreform drei neue Polizeipräsidien entstehen, die - wie alle anderen auch - jeweils eigenständig für ihren Bereich beschaffen.
1) Vgl. ORH-Bericht 1999 TNr. 17.
2) Landtagsbeschluss vom 21.03.2000 (LT-Drucksache 14/3205 Nr. 2b).
3) Wirtschaftlichkeitsrechnung des Staatsministeriums vom März 2002.
4) Vgl. hierzu ORH-Bericht 1999 TNr. 17.4.
5) Elektronisches Warenhaus Informations-System.
6) Bayerisches Mittelbewirtschaftungssystem.
7) Bayerisches Inventarisierungssystem.
8) Werkstatt- und Fuhrparkmanagementsystem.
9) Integriertes Haushaltsverfahren.
10) Vgl. hierzu auch TNr. 20.