Jahresbericht 2008

TNr. 24: Massenrechtsbehelfe gegen Steuerbescheide

Aktenstapel

Die nicht bearbeiteten Einsprüche in den Finanzämtern haben sich in den letzten fünf Jahren auf 1,4 Millionen erhöht und damit mehr als vervierfacht. Bislang gibt es kein wirksames Konzept, um das Problem der Massenrechtsbehelfe in den Griff zu bekommen.

Bei bestimmten strittigen Grundsatzfragen sollten Steuerbescheide solange nicht bestandskräftig werden, bis eine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt. Damit könnte ein hoher Bearbeitungsaufwand entfallen.

24.1    Ausgangslage


Jeder Steuerbescheid kann mit einem Rechtsbehelf (Einspruch) angefochten werden und ist dann vom Finanzamt nochmals zu überprüfen. Für den Einspruch ist zunächst die Stelle zuständig, die den Bescheid erlassen hat. Falls es dort zu keiner Abhilfe oder Rücknahme kommt, wird der Einspruch von einer besonderen Rechtsbehelfsstelle im Finanzamt weiter bearbeitet.

Die Rechtsbehelfe verursachen mittlerweile einen erheblichen Aufwand in den Finanzämtern. Alle Rechtsbehelfe, auch Massenrechtsbehelfe1, müssen grundsätzlich individuell abgearbeitet werden.

24.2    Prüfung durch den ORH


Der ORH hatte zuletzt im Jahr 2000 die Bearbeitung außergerichtlicher Rechtsbehelfe in den Finanzämtern untersucht.2 Im Jahr 2008 hat er die Rechtsbehelfsbearbeitung bei 13 Finanzämtern erneut geprüft und dabei Folgendes festgestellt:

24.2.1    Entwicklung der Einsprüche

Die jährlich neu eingelegten Rechtsbehelfe verdoppelten sich entsprechend dem Bundestrend innerhalb von nur drei Jahren. Während sie bis 2003 regelmäßig zum Teil deutlich unter einer halben Million jährlich lagen, stiegen sie 2006/2007 auf je rund eine Million an.

Die erhöhten Zugänge konnten in den letzten Jahren bei Weitem nicht mehr abgearbeitet werden mit der Folge, dass der Gesamtbestand offener Einsprüche seit 2004 ebenfalls sprunghaft anstieg. Vor fünf Jahren lag er noch bei knapp 300.000, Ende 2007 bereits bei mehr als 1,2 Millionen. Hinzuzurechnen waren noch weitere 200.000 Massenrechtsbehelfe aus dem Jahr 2005, die bisher statistisch nicht aufgezeichnet waren. Der Gesamtbestand aller offenen Einsprüche in Bayern lag damit bereits bei 1,4 Millionen und stieg innerhalb der letzten fünf Jahre um mehr als das Vierfache. Ein schlüssiges Gesamtkonzept für einen systematischen Abbau des aufgelaufenen Arbeitsbestandes und insbesondere der darin enthaltenen 900.000 Massenrechtsbehelfe existiert nicht.

24.2.1    Entwicklung der Einsprüche

Die jährlich neu eingelegten Rechtsbehelfe verdoppelten sich entsprechend dem Bundestrend innerhalb von nur drei Jahren. Während sie bis 2003 regelmäßig zum Teil deutlich unter einer halben Million jährlich lagen, stiegen sie 2006/2007 auf je rund eine Million an.

Die erhöhten Zugänge konnten in den letzten Jahren bei Weitem nicht mehr abgearbeitet werden mit der Folge, dass der Gesamtbestand offener Einsprüche seit 2004 ebenfalls sprunghaft anstieg. Vor fünf Jahren lag er noch bei knapp 300.000, Ende 2007 bereits bei mehr als 1,2 Millionen. Hinzuzurechnen waren noch weitere 200.000 Massenrechtsbehelfe aus dem Jahr 2005, die bisher statistisch nicht aufgezeichnet waren. Der Gesamtbestand aller offenen Einsprüche in Bayern lag damit bereits bei 1,4 Millionen und stieg innerhalb der letzten fünf Jahre um mehr als das Vierfache. Ein schlüssiges Gesamtkonzept für einen systematischen Abbau des aufgelaufenen Arbeitsbestandes und insbesondere der darin enthaltenen 900.000 Massenrechtsbehelfe existiert nicht.

24.2.2    Datenbank Rechtsbehelfe

Aufgrund der vorausgegangenen Prüfung des ORH hatte der Landtag 2001 die Staatsregierung ersucht, in den Finanzämtern ein automationsgestütztes Verfahren zur Verwaltung und Überwachung der Rechtsbehelfe einzuführen.3 Das Staatsministerium stellte daraufhin in Aussicht, ab Anfang 2004 eine erste Ausbaustufe eines derartigen Fallverwaltungssystems flächendeckend zur Verfügung zu stellen. Nach nunmehr acht Jahren ist die Realisierung immer noch nicht vollzogen. Rechtsbehelfe müssen nach wie vor manuell in verschiedene Listen eingetragen werden.

Erst 2005 bis 2007 wurde eine Datenbank Rechtsbehelfe bei sechs Finanzämtern pilotiert. Die flächendeckende Einführung einschließlich Fallerfassung wird nicht vor Ende 2009 abgeschlossen sein.

24.3    Stellungnahme der Verwaltung


Das Staatsministerium hat mitgeteilt, dass im Entwurf des Steuerbürokratieabbaugesetzes eine Erweiterung des § 165 AO vorgesehen sei. Danach solle künftig auch bei Massenverfahren zu Auslegungsfragen vor dem Bundesfinanzhof eine Vorläufigkeit der Steuerbescheide möglich sein. Ein Einspruch sei in diesen Fällen nicht mehr nötig. Eine solche Regelung sei umso dringlicher, weil die Steuerberater künftig systematisch mit IuK-Unterstützung alle potenziellen Einspruchsgründe ermitteln und per Serienbrief Einsprüche einlegen würden. Dies würde zu einem weiteren Anstieg an Einsprüchen insbesondere zu anhängigen Musterverfahren führen.

Die Verwaltung arbeite im Rahmen bundeseinheitlicher IT-Entwicklungen an einem Verfahren zur elektronischen Annahme und Weiterbearbeitung von Massenrechtsbehelfen.

24.4    Schlussbemerkung des ORH


Die Einführung der Datenbank Rechtsbehelfe ist überfällig. Sie ist die Grundlage dafür, dass die Fälle elektronisch weiterbearbeitet werden können.

Nach Ansicht des ORH reicht auch die Erweiterung des § 165 AO nicht aus, um den Arbeitsstau zu bewältigen und die Einspruchsflut einzudämmen. Vielmehr werden weitere gesetzliche Maßnahmen erforderlich sein. Andernfalls werden Masseneinsprüche über Jahre hinweg im Wesentlichen nur verwaltet.

Erfolgreiche Musterverfahren mit großer Breitenwirkung sollten künftig auch ohne Rechtsbehelfe zu einer rückwirkenden Korrektur der betroffenen Veranlagungen führen. Dazu könnte auch folgende Möglichkeit ein denkbarer Weg sein:

Für genau abgegrenzte Rechtsbehelfsgründe könnte die Bestandskraft der Steuerbescheide zeitlich eingeschränkt hinausgeschoben werden. Bereits jetzt halten massenhaft eingelegte Rechtsbehelfe viele Steuerbescheide jahrelang offen. Bei einer günstigen Entscheidung der Rechtsfrage könnte der Steuerbescheid automationsgestützt ohne Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten geändert werden, ohne dass hierfür das Finanzamt wesentlich belastet wird. Dies wird zu Mindereinnahmen im Haushalt führen, die aber angesichts des immer komplizierteren Steuerrechts im Sinne der Steuergerechtigkeit hingenommen werden sollten.

Hierdurch würde der Anreiz, Rechtsbehelfe einzulegen, verringert werden. Zugleich würde ein hoher Aufwand bei den Finanzämtern und Steuerbürgern abgebaut werden.


1) Massenrechtsbehelfe sind Einsprüche, die sich auf die Verfassungsmäßigkeit oder die Auslegung einer Steuernorm beziehen und zu gerichtlichen Musterverfahren mit großer Bedeutung führen.

2) Vgl. ORH-Bericht 2000 TNr. 23.

3) Landtagsbeschluss vom 14.03.2001 (LT-Drucksache 14/6032 Nr. 2 g).  

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