Jahresbericht 2008

TNr. 21: Bayerische Versorgungskammer

Lesender Rentner

Einige Versorgungswerke haben in ihren Grundannahmen die gesunkene Vermögensverzinsung und die gestiegene Lebenserwartung nicht ausreichend nachvollzogen. Sie laufen Gefahr, ihre Leistungsversprechen nicht einhalten zu können. Sollten die Selbstverwaltungsgremien (besonders bei der Ärzte-, Architekten- und Apothekerversorgung) die notwendigen Anpassungsmaßnahmen nicht rasch vornehmen, muss die Aufsichtsbehörde entschlossen eingreifen.

Der ORH hat die Bayerische Versorgungskammer (BVK) sowie die Versicherungsaufsicht geprüft.

21.1    Rechtsnatur der Bayerischen Versorgungskammer und ihrer Anstalten


Mit dem Gesetz über das öffentliche Versorgungswesen (VersoG) ist die BVK aus der 1995 erfolgten Aufteilung der früheren Bayerischen Versicherungskammer in Versicherungskammer Bayern und BVK hervorgegangen.

Die BVK ist das gemeinsame Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan aller zwölf von ihr verwalteten Anstalten. Sie führt deren Geschäfte im organisatorischen, sächlichen und personellen Verwaltungsverbund. Sie ist in dieser Funktion eine von staatlichen Weisungen unabhängige, dem Staatsministerium unmittelbar nachgeordnete staatliche Oberbehörde. Das Tätigkeitsgebiet der BVK erstreckt sich bei einzelnen Versorgungseinrichtungen auf die gesamte Bundesrepublik Deutschland.

Organe jeder Versorgungsanstalt sind der jeweilige Verwaltungsrat bzw. Landesausschuss und die BVK. Das Selbstverwaltungsgremium überwacht die Geschäftsführung der BVK. Im Rahmen des Selbstverwaltungsrechts der Versorgungseinrichtungen beschließt der Verwaltungsrat u. a. über die Entlastung der Geschäftsführung sowie über die Satzungen und deren Änderungen. Die BVK unterstützt die Verwaltungsräte bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben und vollzieht deren Beschlüsse. Sie muss auch darauf achten, dass notwendige Anpassungen an die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen rechtzeitig eingeleitet werden.

21.2    Aufgaben der Versorgungseinrichtungen


Die zwölf berufsständischen und kommunalen Altersversorgungseinrichtungen erbringen für ihre Mitglieder und Versicherten Leistungen der Alters-, Berufsunfähigkeits- sowie Hinterbliebenenversorgung.

Berufsständische Versorgungseinrichtungen sind Versorgungswerke für in Berufskammern zusammengeschlossene freie Berufe. Darunter fallen Ärzte, Apotheker, Architekten, Ingenieure, Rechtsanwälte und Steuerberater. Die Versorgungswerke beruhen auf einer gesetzlichen Pflichtmitgliedschaft. Ihre Leistungen sind aufgrund der gesetzlich geregelten Beitragspflicht denjenigen der gesetzlichen Rentenversicherungen gleichzustellen. Neben diesen Vollversorgungssystemen verwaltet die BVK auch Versorgungseinrichtungen u. a. für Beschäftigte an deutschen Theatern sowie Kulturorchestermusiker. Diese Versorgungswerke ergänzen die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung auf dem Gebiet der Alters-, Berufsunfähigkeits- bzw. Hinterbliebenenversorgung.

Daneben verwaltet die BVK den Bayerischen Versorgungsverband, die Zusatzversorgungskasse der bayerischen Gemeinden sowie das Versorgungswerk des Landtags.

21.3    Rechts- und Versicherungsaufsicht


Die Versorgungseinrichtungen unterliegen, mit Ausnahme der Versorgungsanstalt der deutschen Bezirksschornsteinfegermeister, der Rechts- und Versicherungsaufsicht durch das Staatsministerium des Innern.16Die Aufsichtsbehörde nimmt ihre Aufgaben im öffentlichen Interesse wahr und achtet insbesondere auf eine ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten und der Leistungsberechtigten sowie auf eine ordnungsgemäße Durchführung des Geschäftsbetriebs.

21.4    Geschäftsvolumen und wirtschaftliche Rahmendaten


Die BVK ist, gemessen an der Mitgliederzahl und dem Anlagevermögen der von ihr verwalteten Versorgungseinrichtungen, derzeit Deutschlands größte öffentlich-rechtliche Versorgungsgruppe mit ca. 1.000 Beschäftigten. Auch die Beitragseinnahmen bewegen sich in der Größenordnung großer deutscher Lebensversicherungsunternehmen. Die Anstalten der BVK sind Wirtschaftsunternehmen; sie gehören zu den großen institutionellen Kapitalanlegern in Bayern.

Die BVK verwaltet insgesamt 1,7 Millionen Versicherte und Versorgungsempfänger. Im Jahr 2007 betrugen die Beitrags- und Umlageeinnahmen der Versorgungseinrichtungen 3,4 Mrd. €. Diesen stehen jährlich erbrachte Versorgungsleistungen von 2,2 Mrd. € gegenüber. Das für alle Einrichtungen zusammen gemanagte Kapitalanlagevolumen belief sich 2007 auf 40,2 Mrd. €. Allein das jährliche Neuanlagevolumen beträgt mehr als 3 Mrd. €. Der Immobilienbestand umfasst derzeit ca. 10.500 Wohn- und 1.000 Gewerbeeinheiten. Verwaltungskosten von 50 Mio. € werden jährlich an die einzelnen Anstalten weiterverrechnet.

21.5    Ausgangssituation


Die sechs berufsständischen Anstalten müssen als Altersvorsorgeeinrichtungen der ersten Säule17 bei der Kapitalanlage weitgehend den strengen Sicherheitsvorschriften nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz genügen. Sie sind - bis auf die Bayerische Ärzteversorgung - nach einem Kapitaldeckungsverfahren finanziert, d. h. Anwartschaften auf künftige und laufende Renten werden durch Kapital und zu erwartende Zinseinnahmen gedeckt. Die Finanzierung der Leistungen der Bayerischen Ärzteversorgung erfolgt nach dem "Offenen Deckungsplanverfahren"; es steht zwischen dem Kapitaldeckungs- und dem Umlageverfahren.

Damit die Rentenzahlungen auch für die Zukunft gesichert sind, müssen bestimmte, laufend zu überprüfende Annahmen getroffen werden. Dazu gehören vor allem der Rechnungszins, aber auch die künftige durchschnittliche Lebenserwartung der Mitglieder und damit die durchschnittliche Laufzeit der Renten. Der Rechnungszins der Versorgungsanstalten ist satzungsmäßig festgelegt, kann aber unter Beachtung bestimmter Verfahrensregeln geändert werden. Er hat nicht die Funktion eines über die Vertragslaufzeit fixierten Garantiezinses.

Die Richtlinien der Versorgungspolitik werden nach dem Gesetz über das öffentliche Versorgungswesen von den Verwaltungsräten der jeweiligen Versorgungsanstalten bestimmt. Diese beschließen auch über die Anpassung des Rechnungszinses, der in den einzelnen Satzungen festgeschrieben ist.

21.6    Auswirkungen des Zinsrückgangs auf den Rechnungszins


Um die versprochenen Leistungen auszahlen zu können, müssen bestimmte Erträge aus dem Anlagevermögen erzielt werden. Bei einem Zinsrückgang sinken die mit dem Anlagevermögen zu erzielenden Erträge. Damit müssen entweder die Beiträge erhöht, um die Erträge stabil zu halten, oder die Rentenzusagen verringert werden.

Seit 2003 befinden sich die auf dem Kapitalmarkt erzielbaren Erträge auf einem historischen Tiefstand. Vom gesamten Kapitalanlagenbestand der BVK-Anstalten Ende 2006 von 37 Mrd. € waren 80% in festverzinsliche Wertpapiere investiert.

Der Rechnungszinssatz ist bei den kapitalgedeckten Versorgungsanstalten für die Ansprüche der Versorgungsberechtigten ein wesentlicher Parameter zur Ermittlung der künftigen Leistungsbarwerte. Für die Versorgungszusagen der Versorgungseinrichtungen sind deshalb nach kaufmännischer Beurteilung versicherungstechnische Rückstellungen zu bilden, um die jederzeitige und dauerhafte Erfüllbarkeit der Ansprüche der Versorgungsberechtigten sicherzustellen. Die Kalkulation bei den meisten kapitalgedeckten Versorgungseinrichtungen sieht als Zielmarke ab 2005 bzw. 2006 für neu eingehende Beitragseinnahmen eine Verzinsung des Vermögens mit einem Rechnungszins von 3,25% vor. Vorher lagen die Zinssätze durchgehend bei 4%.

Demgegenüber betrug die Verzinsung, die seit 2004 bis Ende 2006 in der Lebensversicherungsbranche - trotz der Systemunterschiede - für Neuverträge garantiert wurde, nur 2,75% und wurde ab 1. Januar 2007 sogar auf 2,25% abgesenkt.

Nach den Berechnungen der BVK vom November 2006 unterschreitet bei fast allen berufsständischen Versorgungseinrichtungen der erzielbare Neuanlagezins den Bedarfszins. Das bedeutet konkret, dass bei einer Reihe von berufsständischen Anstalten die erforderliche Vermögensverzinsung nicht erreicht wird. Nach Auffassung der Geschäftsführung und eines externen Gutachters müsse daher der Rechnungszins abgesenkt werden. Außerdem müssten laut BVK die Teuerungsrate sowie zusätzlich 0,3 Prozentpunkte für die Fortschreibung der Sterbetafeln einkalkuliert werden, da die erwartete Steigerung der Lebenserwartung ebenfalls nur aus den künftigen Zinserträgen erwirtschaftet werden kann.

Im Gegensatz zur deutlichen Absenkung des Garantiezinses bei der Versicherungswirtschaft haben die Selbstverwaltungseinrichtungen der Berufsstände bisher eine weiter gehende Absenkung des Rechnungszinses abgelehnt, weil sich dadurch die Rentenzusagen verringern würden.

Besonders problematisch ist die Situation bei den Altanwartschaften, die vor 2005 entstanden sind. Diese benötigen nach wie vor jährliche Zinszuführungen von 4%. Aufgrund der andauernden Niedrigzinsphase besteht ein Großteil des Portfolios inzwischen aus niedrig verzinslichen Anleihen. Deshalb kann der notwendige Ertrag nicht mehr erzielt werden. Auf Anordnung der Versicherungsaufsicht mussten erstmals 2005 zusätzliche Rückstellungen für drohende Zinsverluste aus Unterschreitungen des Rechnungszinses gebildet werden. Diese Rückstellungen konnten ausweislich der Bilanzen auch 2006 und 2007 noch nicht aufgelöst werden.

21.7    Auffassung des ORH


Um die Finanzierbarkeit der satzungsmäßig zugesagten Leistungen jederzeit sicherzustellen, hätte nach Auffassung des ORH der Rechnungszins - wie in der Versicherungswirtschaft auch - früher und deutlicher abgesenkt werden müssen. Bei der derzeit niedrigen Vermögensverzinsung ergibt sich kein Überzins, aus dem Kaufkraftverlust, Fortschreibung der Sterbetafeln sowie ausreichende Eigenmittel bzw. eine Schwankungsreserve finanziert werden könnten.

Nach Auffassung des ORH wären primär die BVK selbst als auch die Versicherungsaufsichtsbehörde gehalten gewesen, geeignete Maßnahmen - wie eine ausreichende Rechnungszinsabsenkung - bereits früher anzumahnen oder gegebenenfalls auch anzuordnen. Die versicherungsaufsichtliche Anordnung von Zinsverlustrückstellungen kann das Grundproblem nicht nachhaltig beseitigen. Notwendig ist vielmehr, den Rechnungszins abzusenken. Auch die Wirtschaftsprüfer weisen in ihren Prüfberichten (Jahresabschluss 2006) für einige Versorgungseinrichtungen auf die Gefahr hin, dass die Rechnungsgrundlage Zins als nicht ausreichend gesichert angesehen werden könne und demzufolge gegebenenfalls einschneidende Maßnahmen in den Leistungen der Anstalten erforderlich seien. Für die Bayerische Ärzteversorgung wird im geprüften Abschluss 2006 festgestellt, dass ein Rechnungszins von 4% in der aktuellen Zinslandschaft keinesfalls als vorsichtig angesehen werden könne.18 Der Wirtschaftsprüfer hält - wie bereits in den Vorjahren - eine Überprüfung des Rechnungszinses für erforderlich und weist auf die Absenkung in der Lebensversicherungsbranche hin.

Die staatliche Aufsichtsbehörde hat bisher bei den Verwaltungsräten der Versorgungsanstalten nicht auf eine entsprechende Zäsur hingewirkt. Hinzu kommt, dass sie nach Art. 32 Abs. 2 des Gesetzes über das öffentliche Versorgungswesen auch bei den Leistungszusagen darauf zu achten hat, dass angemessene vorsichtige versicherungsmathematische Annahmen zugrunde gelegt werden.

21.8    Berücksichtigung der veränderten Sterbewahrscheinlichkeiten


Die Festlegungen in den Geschäftsplänen der Versorgungsanstalten enthalten neben dem Rechnungszins auch die Sterbewahrscheinlichkeiten bzw. die biometrischen Rechnungsgrundlagen. Die ständig steigende Lebenserwartung erfordert eine höhere Vorsorge. Dies wird versicherungsmathematisch berücksichtigt, indem der Sterblichkeitstrend in die Zukunft projiziert wird (Projektivität19 bzw. Projektionszeitraum).

Bei der Bayerischen Apothekerversorgung hat der Verwaltungsrat die biometrischen Werte trotz steigender Lebenserwartung nicht fortgeschrieben. Aufgrund jahrelanger   von der Versicherungsaufsicht nicht beanstandeter - überhöhter Verrentungssätze verblieb aus dem Überzins der vergangenen Jahre kein Spielraum mehr für den Ausbau der Biometrie. Die Projektivität der biometrischen Werte der Bayerischen Apothekerversorgung entspricht deshalb noch dem Stand des Jahres 1993, während diese bei einigen anderen Versorgungseinrichtungen - wie von der Versicherungsaufsicht gefordert - im Durchschnitt 15 Jahre über das letzte Bilanzjahr hinausreicht. Zur Finanzierung dieser Projektion der biometrischen Werte wäre am Bilanzstichtag 31.12.2006 bei der Bayerischen Apothekerversorgung ein Aufwand von 6,1% der Deckungsrückstellung erforderlich gewesen.

Die zugrunde gelegten biometrischen Werte bei der Bayerischen Architektenversorgung sind ebenfalls nicht aktuell. Obwohl in die Sterbewahrscheinlichkeiten sechs Jahre Projektivität eingerechnet wurden, entspricht diese rechnerisch lediglich dem Stand des Jahres 2005. Bei einer anzustrebenden Projektivität von Bilanzjahr zuzüglich 15 Jahre wäre Ende 2006 noch ein zusätzlicher Aufwand von 3,7% der Deckungsrückstellung erforderlich gewesen.

Nach Auffassung des ORH ist neben dem Rechnungszins die nicht ausreichend angepasste Projektivität der biometrischen Werte bei einigen Anstalten ein weiteres grundlegendes Problem. Dadurch wird derzeit der Vorsorgebedarf für die späteren Renten erheblich unterschätzt.

21.9    Stellungnahme des Staatsministeriums


Das Staatsministerium weist darauf hin, dass die Versorgungswerke bereits seit Jahren Maßnahmen zur Sicherung ihrer Systeme ergriffen hätten und die BVK den Selbstverwaltungsgremien der Versorgungseinrichtungen aktuell eine Reihe von Maßnahmen vorschlagen werde, die dem Anliegen des ORH Rechnung tragen würden. Hierzu würden jährliche Zuführungen zur Deckungsrückstellung der Versorgungseinrichtungen von jeweils 0,5% für die Biometrie gemäß dem Rahmengeschäftsplan vom 24. April 200820  gehören, die Anhebung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre möglichst ab 2012, die Absenkung des Rechnungszinses bei kapitalgedeckten Versorgungsanstalten für neu eingehende Beitragseinnahmen auf 2,5 oder 2,75% und die Überführung der angeordneten Zinsrückstellungen in die Sicherheitsrücklage oder in eine ähnliche Reserve.

Abschließend gehen das Staatsministerium und die BVK davon aus, dass Versorgungswerke mit einer hohen oder gar vollständigen Kapitaldeckung   wie dies in Bayern der Fall ist - der demografischen Entwicklung weitaus besser standhalten würden als primär oder ausschließlich umlagefinanzierte Einrichtungen. Unabhängig davon müsse der von den Verwaltungsräten der Anstalten und der BVK getragene Prozess einer schrittweisen Anpassung an geänderte Verhältnisse fortgeführt werden.

21.10    Abschließende Bemerkung des ORH


Die Vorschläge bestätigen den vom ORH dargelegten Handlungsbedarf. Entscheidend ist, dass diese Maßnahmen künftig entschlossen umgesetzt und auf ihre Wirksamkeit ständig überprüft werden, zumal der durch die Biometrie bedingte Nachholbedarf an Deckungsrückstellungen bei einigen Versorgungswerken aktuell drastisch angestiegen ist.

Kommen die Selbstverwaltungsgremien einiger Versorgungsanstalten ihrer Aufgabe, die Belange der Versicherten zu wahren, nicht ausreichend nach, muss die Aufsichtsbehörde entschlossen eingreifen.


16) Bis einschließlich 31.05.2007 wurde die Versicherungsaufsicht durch das Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie wahrgenommen.

17) Gesetzliche Pflichtversicherung.

18) Am 27.09.2008 Absenkung auf 3,5% beschlossen.

19) Voraussichtliche rechnerische Lebenserwartung, die den Sterbetafeln zugrunde liegt.

20) Für das Bilanzjahr 2007 bereits rechtsaufsichtlich genehmigt.