Jahresbericht 2009

TNr. 20: Mängel bei der ESF-Förderung von Volkshochschulen

Stilleben: Weltkugel, Wecker, Uhr, grüner Apfel, Bücher vor Schiefertafel

Projekte einzelner Volkshochschulen wurden auch aus dem Euro­päischen Sozialfonds (ESF) gefördert. Die geprüften Projekte waren weder neu noch innovativ und entsprachen deshalb nicht den euro­päischen Vorgaben. Die in die Förderung eingerechneten hohen Kosten einzelner Projekte waren zum Teil nicht plausibel. Die zu Unrecht gewährten Fördermittel wurden zwischenzeitlich zurück­gefordert.Künftig ist sicherzustellen, dass sowohl die europarechtlichen Vor­gaben als auch die bayerischen Haushaltsvorschriften beachtet werden. Es ist darauf zu achten, dass die Projekte entsprechend der Bewilligung durchgeführt und die Verwendungsnachweise gründlich geprüft werden.

Ein Staatliches Rechnungsprüfungsamt hat sieben Projekte der Erwachsenenbildung geprüft, die mit Mitteln aus dem ESF gefördert wurden. Diese Projekte wurden an verschiedenen Volkshochschulen durchgeführt. Gegenstand der Prüfung war,

  • wie das Förderverfahren organisiert und die Projektanträge von der staatlichen Verwaltung bearbeitet wurden und
  • wie die Empfänger die Mittel verwendet haben.

20.1 Förderung mit Mitteln aus dem ESF

Der ESF stellt Mittel für Förderprogramme bereit, um die Lage auf dem Arbeitsmarkt in der EU zu verbessern. Zu diesem Zweck unterstützt der ESF Maßnahmen der Mit­gliedstaaten im Hinblick auf Vollbeschäftigung, Arbeitsplatzqualität und Arbeitspro­duktivität sowie Maßnahmen zur Förderung der sozialen Eingliederung.

Die Maßnahmen werden von den Mitgliedstaaten kofinanziert. Es müssen also immer Mittel der öffentlichen Hand beigesteuert werden; maximal 50% der Fördermittel dürfen aus dem ESF stammen. Die genaue Ausgestaltung der Förderung legen die Mitgliedstaaten in ihren Programmen fest. Bevor eine Förderung mit europäischen Mitteln erfolgen kann, muss die Kommission diese Programme genehmigen.

Den von der EU festgelegten Rahmen hat der Freistaat Bayern in der Förderperiode 2000 bis 2006 mit dem"Ziel-2-Programm Bayern 2000 bis 2006" ausgestaltet. Dort waren auch Maßnahmen der Erwachsenenbildung vorgesehen. Diese setzen u. a. auf eine gezielte Aus- und Weiterbildung der in Ziel-2-Gebieten lebenden Menschen. Mit neuen Bildungsangeboten und innovativen Bildungsinitiativen sollte die Standort­qualität der Ziel-2-Gebiete maßgeblich verbessert werden.[58]

20.2 ESF-geförderte Projekte in Bayern

Für die Erwachsenenbildung wurden in der Förderperiode 2000 bis 2006 insgesamt 37,4 Mio. € ESF-Mittel bewilligt. Zusätzlich steuerte der Staat 4 Mio. € aus Landes­mitteln bei. Den Rest finanzierten Kommunen, der Bund oder Dritte mit unterschied­lichen Anteilen. Insgesamt wurden im Rahmen der Erwachsenenbildung 555 Projekte gefördert.

Für das Förderverfahren dieser Projekte galt Folgendes:

In den Jahren 2000 bis 2006 konnten staatlich anerkannte Träger der Erwachsenen­bildung, wie der Bayerische Volkshochschulverband und die Volkshochschulen, För­deranträge für Projekte stellen. Diese Anträge mussten beim Kultusministerium ein­gereicht werden. Dieses entschied, ob das Projekt aus fachlicher Sicht grundsätzlich förderfähig war und stimmte ggf. auch einem vorzeitigen Beginn der Maßnahme zu. Das weitere Bewilligungsverfahren wurde von einer Regierung durchgeführt. Diese hatte den Antrag erneut zu prüfen und insbesondere zu klären, welche Ausgaben förderfähig sind. Wenn der überarbeitete Antrag wesentlich von den ursprünglichen Angaben abwich, musste die Regierung vom Kultusministerium eine erneute Ent­scheidung einholen. Die Regierung fertigte den Bewilligungsbescheid und war zustän­dig für die Projektbegleitung, die Bearbeitung der Auszahlungsanträge sowie für die Prüfung des Verwendungsnachweises.

20.3 Festgestellte Mängel bei der Verwendung der Mittel

Bei allen sieben geprüften Projekten wurden Fehler festgestellt. Besonders gravie­rend waren sie in den nachfolgenden drei Fällen:

20.3.1 Projekt 1: "Leben an der Grenze - Sprechen mit Europa"

Das Fremdsprachen-Projekt "Leben an der Grenze ‑ Sprechen mit Europa" wurde bei zuwendungsfähigen Ausgaben von 185.000 € mit 81.000 € ESF-Mitteln gefördert.

Das Projekt war identisch mit dem seit Jahren durchgeführten Sprachenprogramm der Volkshochschule. Gefördert wurde u. a. ein Konversationskurs Französisch, der im Herbst 2006 bereits sein 20-jähriges Bestehen feierte. Die mit ESF-Mitteln geför­derten Kurse waren für die Teilnehmer auch nicht kostengünstiger. Die Förderung brachte ausschließlich Vorteile für die Volkshochschule. Sie erschloss sich damit zusätzliche Finanzmittel.

Die im Förderantrag angekündigten Leistungen wurden in größerem Umfang nicht erbracht. Im Förderantrag wurde u. a. eine individuelle Bildungsberatung als innova­tiver Teil dieses Projekts herausgestellt. Danach sei diese Beratung notwendig, da "leistungsorientierter Sprachunterricht auf verschiedenen Kompetenz-Niveaus auch verschiedene Kursformen und eine einheitliche Zusammensetzung der Kursteilneh­mer erfordere". Laut Antrag sollten für jeden Kursteilnehmer 2 bis 4 Unterrichtseinheiten für Bildungsberatung und Einstufungstests aufgewendet werden. Das Kultusministe­rium bestätigte die fachliche Förderfähigkeit. Die Regierung bewilligte dem Bayerischen Volkshochschulverband die Zuwendung, der sie an eine Volkshochschule weiterlei­tete.

Für die individuelle Bildungsberatung und Einstufungstests wären entsprechend der geplanten Teilnehmerzahl 500 bis 900 Unterrichtseinheiten notwendig gewesen. Tat­sächlich fand die vorgesehene umfangreiche individuelle Beratung der Teilnehmer nicht statt. Sie beschränkte sich auf allgemeine Auskünfte einer Büroangestellten zum Kursniveau und zu den Lehrbüchern. Bei weitergehenden Fragen wurde der Interessent an den jeweiligen Kursleiter verwiesen.

Im Ergebnis handelte es sich bei dem Projekt um kein neues innovatives Vorhaben. Die Durchführung des Projekts wich von den Angaben im Förderantrag ab. Die Kri­terien für eine ESF-Förderung lagen nicht vor.

20.3.2 Projekt 2: "Regionaler Dienstleistungsservice im Bereich der EDV-Qualifizie­rung"

Bei diesem Projekt wurden 76 Kurse durchgeführt. Die zuwendungsfähigen Ausga­ben von 486.000 € wurden mit 243.000 € ESF-Mitteln gefördert.

Hier wurde im Förderantrag u. a. angegeben,

  • es würden neue Lehrgangsmethoden, wie z. B. E-learning entwickelt und erprobt,
  • es würden IT-spezifische Weiterbildungsberatungen für Kursteilnehmer und Be­triebe angeboten,
  • es würden betriebliche Schulungen durchgeführt,
  • der Schulungsumfang belaufe sich auf 20 bis 30 Unterrichtseinheiten.

Die Regierung bewilligte die Förderung unter der Auflage, dass mindestens 7 Perso­nen an einem Kurs teilnehmen.

Die Prüfung hat Folgendes ergeben:

  • Es fehlte an dem für die ESF-Förderung erforderlichen innovativen und zusätz­lichen Charakter; dieser ergab sich nur aus der Beschreibung im Förderantrag, nicht jedoch aus dem tatsächlich durchgeführten Programm. Tatsächlich unter­schied sich dieses IT-Schulungsprojekt nicht wesentlich vom üblichen IT-Schu­lungsprogramm der Volkshochschule. Es wurden weder neue Lehrgangsmetho­den entwickelt und erprobt, noch eine IT-spezifische Weiterbildungsberatung für Betriebe und betriebliche Schulungen durchgeführt.
  • Zwei Drittel der 76 Kurse haben den geförderten Schulungsumfang nicht erreicht; dort bestanden die Kurse nur aus 2 bis 16 Unterrichtseinheiten. Im Übrigen war der geförderte Schulungsumfang von 20 bis 30 Unterrichtseinheiten nicht ausrei­chend für eine auf dem Arbeitsmarkt beruflich verwertbare Qualifikation. Das Lehr­gangssystem "Europäischer Computer Pass - Xpert" der Europäischen Prüfungs­zentrale Hannover empfiehlt beispielsweise zum Erwerb grundlegender IT-Kennt­nisse für den Arbeitsmarkt einen Schulungsumfang von wenigstens 60 Unterrichts­einheiten.
  • Die Hälfte der Kurse hatte weniger als 7 Teilnehmer.
  • Zwischen den von der Volkshochschule abgerechneten Personalkosten und den tatsächlich durchgeführten Unterrichtseinheiten besteht ein auffälliges Mißverhält­nis: Trotz des geringen Umfangs der Schulung hat die Volkshochschule laufende Kosten für das Stammpersonal von 340.000 € mit einer nicht nachvollziehbaren Gesamtstundenzahl von 90 Stunden pro Woche für das Projekt abgerechnet. Dies ist auch deshalb nicht plausibel, weil von den insgesamt 1.066 Unterrichtsein­heiten rund 90% von Honorarkräften erbracht wurden, die jedoch nur 23.000 € erhielten.
  • Ausgehend von den anerkannten Projektkosten von rd. 486.000 € entfielen auf jede Unterrichtseinheit durchschnittlich 456 € (davon 228 € ESF-Mittel).

20.3.3 Projekt 3: "Qualifizierungsoffensive für touristische Leistungsträger"

Das Projekt wurde bei zuwendungsfähigen Ausgaben von 382.000 € mit 191.000 € ESF-Mitteln gefördert.

Laut Antrag sollte der Tourismus im Landkreis gestärkt werden. Die Umsetzung sollte in vier Teilbereichen erfolgen:

  • Schule und Tourismus
  • Selbst-Hilfe-Koffer für touristische Leistungsträger (Anleitungen zu den wichtigsten Themen und Fragestellungen)
  • Qualifizierungsmaßnahmen und Seminare
  • Einrichtung von Qualitätszirkeln zur Fortsetzung der Qualitätsoffensive

Die Regierung bewilligte die Förderung. Die Förderrichtlinien des Kultusministeriums legten einen Mindestumfang von 30 Unterrichtseinheiten fest.

Die Prüfung hat Folgendes ergeben:

  • Die vorgesehenen Maßnahmen zu den Bereichen Schule und Tourismus sowie Selbst-Hilfe-Koffer entfielen. Die Einrichtung von Qualitätszirkeln wurde nicht do­kumentiert.
  • Nur ein Sechstel der Kurse erreichte den erforderlichen Mindestumfang von 30 Unterrichtseinheiten. Die übrigen Kurse hatten einen geringeren Umfang. Eine auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Qualifikation kann damit nicht erwartet werden.
  • Die Volkshochschule rechnete nicht plausible Personalkosten ab. Sie führte im Jahr 2002 lediglich einen eintägigen Kurs („Gasträume gestalten“) mit 9 Teilneh­mern durch. In den ersten beiden Projektjahren (1. Oktober 2002 bis 31. Dezem­ber 2003) wurden nur 8 Kurse mit insgesamt 88 Unterrichtseinheiten durchge­führt. Trotzdem wurden neben den Honoraren für Dozenten noch 3.600 Stunden mit 84.000 € für das Stammpersonal abgerechnet. Pro durchgeführter Unterrichts­einheit sollen somit 41 Stunden Einsatz des Stammpersonals der Volkshochschule notwendig gewesen sein. Das entspräche 955 € je Unterrichtseinheit.

20.4 Auffassung des ORH

Die zwischen Kultusministerium und Regierung geteilte Zuständigkeit trug wesentlich dazu bei, dass Projekte gefördert wurden, die weder den Förderkriterien der EU noch den bayerischen Haushaltsvorschriften genügten. Die für die Detailprüfung zustän­dige Regierung hat die Entscheidung der vorgesetzten Behörde darüber, ob ein Pro­jekt grundsätzlich förderwürdig ist, nicht mehr infrage gestellt. Außerdem hat es die Regierung versäumt, die Projekte ausreichend zu begleiten und die Verwendungs­nachweise gründlich zu prüfen. Der ORH empfahl, das gesamte Förderprogramm auf die Regierung zu übertragen, die vorgefundenen Mängel abzustellen und zu Un­recht gewährte Fördermittel zurückzufordern.

20.5 Stellungnahme des Kultusministeriums

Nach mehreren Jahren Verwaltungsvollzug in diesem Bereich habe sich die Situation grundlegend verändert. Ab 1. Januar 2009 sei daher die Entscheidung über die fach­liche Förderfähigkeit im Be­reich der Erwachsenenbildung auf die Regierung übertra­gen worden. Der Empfehlung des ORH zu einer höheren Transparenz des abzurech­nenden Personaleinsatzes solle Rechnung getragen werden.

Das Kultusministerium ist allerdings der Auffassung, dass zu Beginn der Förderpe­riode die Aufteilung der Zuständigkeit zwischen Ministerium und Regierung sachlich geboten und zwingend erforderlich gewesen sei, um die große Zahl der vorliegenden Zuschussanträge sachgerecht und zeitnah abzuwickeln. Nur so habe ein eventuell drohender Mittelverfall verhindert werden können.

Nach Auffassung des Ministeriums beziehe sich die vom ORH geforderte Zusätzlich­keit der Maßnahmen nicht auf Einzelmaßnahmen, sondern auf das gesamte Pro­gramm. Dies bedeute, der Freistaat dürfe Landesmittel, mit denen er einen bestimm­ten Förderbereich bereits finanziell ausgestattet hat, nicht durch ESF-Mittel ersetzen. Für einzelne Zuwendungsempfänger gelte diese Vorgabe nicht. Darüber hinaus müss­ten betreffende Maßnahmen der Erwachsenenbildung nicht neu und innovativ sein.

Zu den angeführten Einzelfällen führt das Kultusministerium aus:

Bei den beiden Projekten "Leben an der Grenze - Sprechen mit Europa" sowie "Regi­onaler Dienstleistungsservice im Bereich der EDV-Qualifizierung" bestätigt das Kul­tusministerium die Feststellungen des ORH, dass die Projekte in anderer Form als im Zuschussantrag beschrieben durchgeführt wurden. In beiden Fällen forderte die Regie­rung die Zuschüsse in vollem Umfang zurück.

Beim Projekt "Qualifizierungsoffensive für touristische Leistungsträger" wurden auf­grund der Feststellung der Rechnungsprüfung die geltend gemachten Personalkosten korrigiert und rd. 82.000 € zurückgefordert.

20.6 Schlussbemerkung des ORH

Der ORH begrüßt, dass die Regierung nunmehr für das gesamte Förderverfahren zuständig ist und Zuwendungen umfassend zurückgefordert wurden.

Bei den Projekten der laufenden Förderperiode 2007 bis 2013 hat die Regierung sicherzustellen, dass die Anträge den Förderkriterien entsprechen. Der ORH hält daran fest, dass nur Projekte gefördert werden dürfen, die neu und innovativ sind. Dies ergibt sich auch aus den vom Ministerium erlassenen Förderrichtlinien. Es ist darauf zu achten, dass die Projekte entsprechend der Bewilligung durchgeführt wer­den. Außerdem müssen Verwendungsnachweise gründlich geprüft werden.


[58] Einheitliches Programmplanungsdokument zur EU-Strukturfondsförderung - genehmigte Endfassung 16. November 2006; KMS vom 15. Januar 2003 Gz. II/6 L 0122/154/2-1/138519.