Jahresbericht 2009

TNr. 19: Mangelhafter Vollzug des Schulfinanzierungsgesetzes bei Heimkostenzuschüssen

Schüler vor Tafel

Bezirke, Landkreise und kreisfreie Städte gaben jährlich rd. 5,5 Mio. € zulasten des Staatshaushalts für die Unterbringung von Förderschü­lern in Heimen und Tagesstätten aus. Stattdessen hätten kommu­nale Mittel eingesetzt werden müssen.Pro Jahr werden weitere 4 Mio. € aus dem Staatshaushalt für die Unterbringung von Förderschülern in Tagesstätten ausgegeben. Das Kultusministerium vertritt seit 1976 die Meinung, dass diese Maßnahmen in der Regel nicht notwendig seien. Der ORH fordert ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Förderung von Tagesstätten.Das Kultusministerium hat über Jahre hinweg keine ausreichenden Maßnahmen getroffen, um einen rechtmäßigen und landeseinheit­lichen Vollzug sicherzustellen.Der ORH hat zusammen mit drei Staatlichen Rechnungsprüfungsämtern in den Jah­ren 2007 und 2008 die im Jahr 2006 geleisteten Heimkostenzuschüsse nach den Art. 25, 26 und 36 des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes (BaySchFG) unter­sucht. Von den rd. 1.900 Fällen wurden 343 (18%) im Einzelnen geprüft.

19.1 Ausgangslage

Kinder und Jugendliche, die an einer allgemein bildenden Schule nicht ausreichend unterrichtet werden können, besuchen Förderschulen. In vielen Fällen werden sie dabei in Heimen oder Tagesstätten ergänzend betreut und gefördert. Die ggf. an­fallenden Heimkosten werden nahezu ausschließlich nach den bundesgesetzlichen Vorschriften des SGB von den Kommunen getragen:

  • Seh-, Sprach- und Hörgeschädigte, Körper- und Geistigbehinderte erhalten die Heimkosten nach den Vorschriften des SGB XII (Sozialhilfe) ersetzt.
  • Seelisch Behinderte und "Erziehungsschwierige" erhalten die Heimkosten nach den Vorschriften des SGB VIII (Jugendhilfe) ersetzt.

Förderschüler, die nach diesen Vorschriften ausnahmsweise keinen Anspruch haben, erhalten die Heimkosten nach den Art. 25, 26 und 36 BaySchFG ersetzt. Der Landes­gesetzgeber hat hierbei im Wesentlichen an Lernbehinderte gedacht. Das BaySchFG bestimmt ausdrücklich, dass eine Bezuschussung aus Landesmitteln nur dann zu­lässig ist, wenn die Heimkosten nicht nach den Vorschriften des SGB XII (Sozialhilfe) oder SGB VIII (Jugendhilfe) zu tragen sind.

Leistungen - sei es nach dem SGB XII, dem SGB VIII oder dem BaySchFG - bewilli­gen die Bezirke, Landkreise und kreisfreien Städte. Soweit es sich um Zuschüsse nach dem BaySchFG handelt, erstattet der Staat den Kommunen die Auslagen.

Die staatlichen Heimkostenzuschüsse haben sich in den letzten Jahren wie folgt ent­wickelt:

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19.2 Feststellungen und Empfehlungen des ORH

2006 wurden insgesamt 13,1 Mio. € an Heimkostenzuschüssen nach dem BaySchFG gewährt. Etwa 5,5 Mio. € davon wurden zulasten des Staatshaushalts bewilligt, ob­gleich vorrangige Ansprüche nach dem SGB bestanden, die aus den kommunalen Haushalten zu finanzieren gewesen wären. Weitere 4 Mio. € davon wurden für die Bezuschussung teilstationärer Maßnahmen (Tagesstätten) ausgegeben. Der Besuch von Tagesstätten für den Unterricht in der Förderschule wird selbst vom Kultusminis­terium nicht für notwendig gehalten.

Diese Ausgaben machen rd. 70% der gesamten vom Staat bezahlten Heimkosten­zuschüsse aus.

19.2.1 Vorrangige Leistungen

In 180 von 343 geprüften Fällen wurde der Vorrang von Ansprüchen nach dem SGB nicht beachtet. Es handelte sich um verschiedene Fallgestaltungen:

  • Stationäre Unterbringung in Heimen; durchschnittliche Kosten pro Fall: 17.200 € jährlich;
  • Teilstationäre Unterbringung in Tagesstätten; durchschnittliche Kosten pro Fall: 7.300 € jährlich;
  • Fahrkosten; durchschnittliche Kosten pro Fall: 1.200 € jährlich.

Hochgerechnet auf die Anzahl der Gesamtfälle (1.900) ergab sich daraus allein im Jahr 2006 ein Nachteil für den Staatshaushalt von rd. 5,5 Mio. €. Ausgaben in dieser Größenordnung hätten stattdessen jedes Jahr von den Kommunen getragen werden müssen.

Der ORH hat im Juli 2008 eine sofortige Überprüfung aller Fälle mit vorrangigem Anspruch nach dem SGB XII (Sozialhilfe) angeregt. Ziel war es, die unzulässige Inan­spruchnahme von staatlichen Mitteln nach dem BaySchFG durch die Kommunen zu Beginn des Schuljahres 2008/2009 abzustellen. Darüber hinaus hält der ORH eine rechtliche Klarstellung für angezeigt. Der Anspruch auf Heimkostenzuschüsse nach dem BaySchFG sollte auf lernbehinderte Förderschüler begrenzt werden. In allen anderen Fällen besteht ohnehin ein vorrangiger Anspruch nach dem SGB.

Am 13. August 2008 hat das Kultusministerium der Empfehlung des ORH folgend eine Überprüfung aller Fälle mit vorrangigen Ansprüchen nach dem SGB XII (Sozial­hilfe) angeordnet. Dies hat allein in den letzten vier Monaten des Jahres 2008 im Ver­gleich zum Vorjahr zu einem Rückgang der Ausgaben von 1,7 Mio. € geführt.[57]

Das Kultusministerium hat mitgeteilt, die vorgeschlagene Rechtsänderung näher zu prüfen.

19.2.2 Unterbringung in Tagesstätten (teilstationär)

Viele Förderschüler erhalten nach dem Schulunterricht eine ergänzende Betreuung und Förderung in Tagesstätten.

"Heilpädagogische Tagesstätten" bieten Kindern, die Probleme in ihrer Entwicklung haben, eine intensive Förderung. Deren Kosten werden nahezu ausschließlich nach dem SGB und nur in wenigen Einzelfällen nach dem BaySchFG übernommen. Da­neben gibt es - allerdings nur im Regierungsbezirk Schwaben - 20 sog. "Sonderpäda­gogische Tagesstätten". Diese sind personell und fachlich schlechter ausgestattet als die "Heilpädagogischen Tagesstätten". Eine Übernahme deren Kosten nach dem SGB kommt daher nicht in Betracht. Diese werden deshalb nur durch Zuschüsse nach dem BaySchFG finanziert. 2006 entfielen von den 4 Mio. € Ausgaben für teil­stationäre Maßnahmen 3,6 Mio. € (90%) auf die 20 sonderpädagogischen Tagesstät­ten in Schwaben.

Das Kultusministerium hat seit 1976 mehrfach geäußert, teilstationäre Maßnahmen seien zur Sicherstellung des Förderschulbesuchs nicht erforderlich. Trotzdem wurden keine Bemühungen unternommen, um die Rechtslage zu ändern.

Der ORH fordert ein Gesamtkonzept. Es muss festgelegt werden, ob und ggf. unter welchen Umständen künftig teilstationäre Maßnahmen nach dem BaySchFG bezu­schusst werden sollen.

Das Kultusministerium hat mitgeteilt, es sei bemüht, die Finanzierung teilstationärer Maßnahmen zu begrenzen. Der Komplex der sonderpädagogischen Tagesstätten befände sich in Bereinigung (stufenweiser sozialverträglicher Abbau, Ersatz durch passgenaue Lösungen, z. B. Ganztagsschulkonzepte u. Ä.).

19.2.3 Bemessung des Zuschusses

Die Höhe der Zuschüsse nach dem BaySchFG orientiert sich grundsätzlich am SGB XII (Sozialhilfe). Allerdings gibt es Unterschiede bei der Bedarfsberechnung, dem anzu­rechnenden Einkommen, der "häuslichen Ersparnis" und dem zu berücksichtigenden Vermögen.

Nach Auffassung des ORH sind gesonderte, vom SGB XII abweichende landesrecht­liche Vorschriften nicht sinnvoll.

Der ORH fordert, die Regelungen des BaySchFG und der Durchführungsverordnung entsprechend zu ändern. Dadurch würde der Verwaltungsvollzug einfacher, ohne dass nennenswerte finanzielle Nachteile für den Staat oder die Förderschüler ent­stünden.

19.2.4 Ressortzuständigkeit

Bei der Gewährung von Heimkostenzuschüssen muss regelmäßig entschieden wer­den, ob Leistungen nach dem SGB zu gewähren sind und in welchem Umfang Ein­künfte anzurechnen sind.

Hier ergibt sich folgende Problematik:

Der Vollzug des SGB obliegt den Kommunen als eigene Aufgabe. Die Aufsicht über die Kommunen obliegt dem Innenministerium. Sofern zur Wahrnehmung der Auf­sicht fachgesetzliche Bewertungen aus dem Bereich des SGB benötigt werden, fällt dies in die Zuständigkeit des Sozialministeriums.

Der Vollzug der Heimkostenzuschüsse nach dem BaySchFG ist dagegen eine staat­liche Aufgabe. Sie wurde den Kommunen übertragen. Hier hat das Kultusministerium die Fachaufsicht. Dieses hat auch das Recht zum Erlass von Verwaltungsvorschriften.

Die Zuständigkeit des Kultusministeriums für die Heimkostenzuschüsse nach dem BaySchFG bringt erhebliche Nachteile mit sich:

  • In nahezu allen fachlichen Fragen benötigt das Kultusministerium eine Stellung­nahme des Sozialministeriums.
  • Im Kultusministerium sind keine ausreichenden Kenntnisse über Änderungen und Entwicklungen im Bereich des SGB vorhanden. Die Rechts- und Verwaltungsvor­schriften zu den Heimkostenzuschüssen nach dem BaySchFG wurden u. a. des­wegen nicht zeitnah an die Änderungen im Bereich des SGB angepasst (vgl. TNr. 19.2.5).
  • Eine einheitliche Konzeption bei der Unterbringung in Tagestätten (vgl. TNr. 19.2.2) ließe sich wesentlich einfacher entwickeln und umsetzen, wenn das fachnähere Sozialministerium damit betraut wäre.

Der ORH fordert:

Auch die Heimkostenzuschüsse nach dem BaySchFG sollten, so wie die Ansprüche nach dem SGB, im Geschäftsbereich des Sozialministeriums bearbeitet werden. Dies könnte z. B. mit einer Verschiebung der Anspruchsgrundlagen für die Heimkosten­zuschüsse aus dem BaySchFG in das Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze er­reicht werden.

Das Sozialministerium hat sich gegen eine Umressortierung ausgesprochen. Die Regelung im BaySchFG sei wegen des Zusammenhangs mit dem staatlichen Schul­auftrag sachgerecht. Das Sozialministerium weist nachdrücklich auf Aufsichtsdefizite des Kultusministeriums hin.

Auch das Kultusministerium hat sich wegen der Neukonzeption der Bezuschussung teilstationärer Maßnahmen gegen eine Umressortierung ausgesprochen.

19.2.5 Unzureichende Rechtsvorschriften und Vollzugshinweise

Die Prüfung hat ergeben, dass der Vollzug der Heimkostenzuschüsse nach dem BaySchFG unzureichend geregelt ist. Sowohl die Verordnung zur Durchführung der Art. 25, 26 und 36 des BaySchFG als auch die Vollzugsbekanntmachung hierzu stammen aus dem Jahr 1967. Sie bedürften einer Überarbeitung. Dies gilt auch für einige Vollzugshinweise.

Beispiele:

  • Umfassende Vollzugshinweise zur Abgrenzung von vorrangigen Ansprüchen nach dem SGB fehlen.
  • Das Kultusministerium hat bereits 1989 angekündigt, die nicht mehr zeitgemäße Regelung zum Ansatz der häuslichen Ersparnisse zu ändern. Bislang ‑ also nun­mehr nach 20 Jahren ‑ ist noch nichts geschehen.
  • Ausbildungsförderungen und Unterhaltszahlungen werden seit mehr als 25 Jahren trotz fehlender Rechtsgrundlage angerechnet. Eine bereits 1982 angekündigte Rechtsänderung wurde bis heute nicht umgesetzt.

19.3 Abschließende Bemerkungen des ORH

19.3.1 Vorrangige Leistungen

Der ORH hält nach wie vor an seiner Forderung nach einer Änderung des BaySchFG fest. Ein Anspruch auf Heimkostenzuschuss sollte nur lernbehinderten Förderschü­lern eingeräumt werden.

19.3.2 Leistungsanspruch bei teilstationärer Unterbringung

Die vom Kultusministerium geäußerte Absicht, sich zu bemühen, die Finanzierung teilstationärer Maßnahmen zu begrenzen, hält der ORH für unzureichend.

Das Ministerium sollte handeln:

  • Zunächst muss entschieden werden, ob künftig überhaupt noch teilstationäre Maßnahmen über das BaySchFG finanziert werden sollen; schließlich stellt das Kultusministerium dies selbst seit 1976 immer wieder infrage. Zudem schreitet der Ausbau von Ganztagsschulen voran.
  • Falls dies bejaht wird, müsste ein Gesamtkonzept zur künftigen Finanzierung teil­stationärer Maßnahmen nach dem BaySchFG erstellt werden. Darin müsste ins­besondere geklärt werden, ob und wie lange die Kosten der sonderpädagogischen Tagesstätten weiterhin bezuschusst werden sollen.

Das Kultusministerium hat mitgeteilt, es habe zwischenzeitlich mit der Neukonzeption begonnen.

19.3.3 Bemessung des Zuschusses

Das Kultusministerium hat zugesichert, die vom ORH angeregte Rechtsänderung zur Bemessung des Zuschusses in die Wege zu leiten.

19.3.4 Ressortzuständigkeit

Der ORH hält an seiner Forderung zu einer Änderung der Ressortzuständigkeit fest. Die von den beiden Staatsministerien hiergegen vorgetragenen Argumente überzeu­gen nicht. Bei der Neukonzeption der Bezuschussung der Kosten teilstationärer Maß­nahmen handelt es sich um ein vorübergehendes grundsätzliches Problem. Die einzel­fallbezogene Abgrenzung vorrangiger Ansprüche und die Bemessung der Zuschüsse nach dem SGB bereiten dagegen auf Dauer Vollzugsprobleme.

19.3.5 Unzureichende Rechtsvorschriften und Vollzugshinweise

Umfassende Vollzugshinweise zur Abgrenzung der Ansprüche nach dem BaySchFG und dem SGB XII (Sozialhilfe) hat das Kultusministerium erst im Juni 2009 erlassen. Das Sozialministerium benötigte für seine fachliche Stellungnahme fünf Monate. Voll­zugshinweise zur Abgrenzung der vorrangigen Ansprüche nach dem SGB VIII (Ju­gendhilfe) hält das Kultusministerium erst nach der Neukonzeption der Bezuschus­sung von Kosten teilstationärer Maßnahmen für sinnvoll. Darüber hinaus hat das Kultusministerium eine weitgehende Umsetzung der vom ORH geforderten Anpas­sungen der Rechts- und Vollzugsvorschriften zugesichert.

Nacherhebungen in 2009 zeigten, dass wegen des Fehlens klarer Vollzugshinweise nach wie vor zu Unrecht Leistungen nach dem BaySchFG und damit aus dem Staats­haushalt bewilligt werden.

Die Prüfungsmitteilung ging den beiden Staatsministerien im Juli 2008 zu. Dennoch vermochten diese bisher keinen umfassend rechtmäßigen und landeseinheitlichen Vollzug der Heimkostenzuschüsse sicherzustellen. Das ist unbefriedigend.

Der ORH fordert, die gesamten Regelungen zügig neu zu fassen. Sollte die o. a. Neukonzeption längere Zeit in Anspruch nehmen, hält der ORH eine Überarbeitung der Rechtsvorschriften und Vollzugshinweise in zwei Schritten für angezeigt. Zumin­dest vorläufige Vollzugshinweise zum SGB VIII (Jugendhilfe) sollten rasch ergehen.


[57] Tabelle 23.