Jahresbericht 2010

TNr. 16: Überörtliche Rechnungsprüfung der kleinen Gemeinden neu organisieren

Stempel Rechnungsprüfung, © WoGi/Fotolia.de

Die überörtliche Rechnungsprüfung der kleinen Gemeinden durch die 71 Staatlichen Rechnungsprüfungsstellen weist zahlreiche Män­gel auf. Es bestehen erhebliche Rückstände und Prüfungsdefizite, in Einzelfällen bleiben Gemeinden über zehn Jahre ungeprüft. Die Aufsicht durch die Regierungen ist unzureichend.Die zersplitterte Aufbauorganisation erschwert einen effizienten Personaleinsatz. Die Prüfungsansätze sind unzureichend.Der ORH fordert, die überörtliche Rechnungsprüfung beim Kom­munalen Prüfungsverband zusammenzufassen. Sie würde dadurch deutlich effektiver und effizienter.

Der ORH und ein Staatliches Rechnungsprüfungsamt haben 2009 geprüft, ob die Staatlichen Rechnungsprüfungsstellen bei den Landratsämtern die überörtliche Rech­nungsprüfung ordnungsgemäß und wirtschaftlich durchführen. Dazu sind in zwei Regierungsbezirken die Rechnungsprüfungsstellen näher untersucht worden. Ferner sind die Gebühreneinnahmen für Prüfungsleistungen[32] landesweit analysiert worden.


16.1 Ausgangslage


Die überörtliche Rechnungsprüfung umfasst die gesamte Wirtschaftsführung der Kommunen einschließlich der Bauausgaben und ihrer unternehmerischen Betäti­gung. Geprüft werden dabei auch andere Einrichtungen der Kommunen, wie z. B. Verwaltungsgemeinschaften, Zweckverbände (insbesondere für Schulen und Ab­wasserbeseitigung) und Stiftungen.

Für die überörtliche Rechnungsprüfung sind die Staatlichen Rechnungsprüfungs­stellen bei den Landratsämtern oder der Kommunale Prüfungsverband zuständig.[33] 1.509 Gemeinden mit in der Regel weniger als 5.000 Einwohnern werden von den Rechnungsprüfungsstellen geprüft. Die übrigen 547 Gemeinden sind Mitglieder desKommunalen Prüfungsverbandes und werden von diesem geprüft.

Die Rechnungsprüfungsstellen bei den 71 Landratsämtern setzen jeweils einen oder mehrere Prüfungsbeamte ein, die meist durch Prüfungsgehilfen unterstützt werden. Der Personaleinsatz beträgt nach den Angaben in den Tätigkeitsberichten insge­samt rd. 160 Vollzeitkräfte. Der Landrat entscheidet im Rahmen seiner Organisa­tionshoheit, mit wie viel Personal die Rechnungsprüfung besetzt ist.

Bereits 1999 wurden vom ORH Mängel und Leistungsunterschiede zwischen den Rechnungsprüfungsstellen festgestellt und gegenüber dem lnnenministerium allge­mein organisatorische Änderungen angeregt. Außerdem hat der ORH Gebührener­höhungen gefordert. Das lnnenministerium hat sich im Rahmen einer Arbeitsgruppe (unter Beteiligung des Kommunalen Prüfungsverbandes, der Regierungen und Prüfer der Staatlichen Rechnungsprüfungsstellen) mit der Situation der Staatlichen Rech­nungsprüfungsstellen bzw. den Prüfungsfeststellungen befasst und außerdem die Gebühren erhöht.

Im Jahr 2005 wurde anlässlich der Verwaltungsreform "Verwaltung 21" die Möglich­keit geprüft, die Aufgaben von den Staatlichen Rechnungsprüfungsstellen auf den Kommunalen Prüfungsverband zu verlagern. Die Überlegungen wurden bisher nicht weiterverfolgt, weil

  • die kommunalen Spitzenverbände Vorbehalte angemeldet hatten und
  • vor der Schaffung neuer Organisationsstrukturen abgewartet werden sollte, inwie­weit die Doppik künftig den Prüfungsstoff bestimmt.

 

16.2 Feststellungen des ORH


16.2.1 Hohe Rückstände bei der überörtlichen Rechnungsprüfung

Die Jahresrechnungen der Gemeinden sind nach der Prüfungsverordnung[34] alle drei bzw. vier Jahre überörtlich zu prüfen. Dieser Turnus wird nach den Feststellungen des ORH von der Mehrzahl der Rechnungsprüfungsstellen in den beiden unter­suchten Regierungsbezirken nicht eingehalten. Fehlt Personal, werden Prüfungen nur zu besonderen Anlässen oder auf Anforderung der Gemeinden durchgeführt (z. B. bei Bürgermeisterwechsel). Dabei weisen einige Landratsämter sehr hohe Rückstände auf. In Einzelfällen bleiben Gemeinden bis zu zehn Jahre und mehr über­örtlich ungeprüft. Dazu drei besonders instruktive Beispiele:

  • Im Landkreis Fürstenfeldbruck wurden von 2005 bis 2008 nur 1 Gemeinde und 1 Zweckverband geprüft, die übrigen 27 Einrichtungen (davon 15 Gemeinden und Verwaltungsgemeinschaften) blieben ungeprüft. Die Rückstände reichen bis 1995 zurück.
  • Im Landkreis Tirschenreuth wurden 2008 3 Gemeinden geprüft. Betroffen waren hierbei insgesamt 38 Rechnungsjahre, jeweils zurückliegend bis zum Jahr 1995. Die ungeprüften Rechnungsjahre vor 1995 wurden durch einen oberflächlichen Abgleich von Messzahlen erledigt.
  • Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen blieben alle 31 Einrichtungen (davon 17 Gemeinden und Verwaltungsgemeinschaften) über einen Zeitraum von 10 Jahren ungeprüft.

Insgesamt ist festzustellen, dass die vom ORH geprüften Rechnungsprüfungsstel­len überwiegend weder ordnungsgemäß noch zeitnah prüfen. Die unbefriedigende Situation wird sich in den beiden Regierungsbezirken künftig sogar noch verschär­fen, weil das laufende Prüfungssoll nicht erreicht wird. Aus der landesweiten Analyse der Gebühreneinnahmen ergibt sich, dass bei einzelnen Landratsämtern Gebühren überhaupt nicht oder nur in ganz geringer Höhe erhoben worden sind. Dies ist ein deutliches Indiz dafür, dass auch in den anderen Regierungsbezirken vergleichbare Defizite bestehen.

16.2.2 Andere Aufgaben werden vorrangig erledigt

 

Die Rechnungsprüfungsstellen dürfen nur in dem Maß mit anderen Aufgaben be­traut werden, in dem eine zeit- und ordnungsgemäße Erledigung der Prüfungsauf­gaben sichergestellt bleibt.[35]

Der ORH hat festgestellt, dass 2008 die Rechnungsprüfungsstellen in Oberbayern und der Oberpfalz 1.707 Gutachten und 519 Stellungnahmen gefertigt haben. Im Wesentlichen ging es um die Beurteilung von kommunalen Haushalten. Diese Auf­gaben erledigten die Prüfer auf Ersuchen der Kommunalaufsicht oder aufgrund aus­drücklicher Zuweisung in der jeweiligen Geschäftsverteilung des Landratsamtes. Den Prüfern wurden dazu oft in erheblichem Umfang weitere Aufgaben zugewiesen (z. B. Leitung der Kommunalaufsicht und Kreisrevision, Vollzug des Gewerberechts, Neues Steuerungsmodell). Die Prüfungstätigkeit kam dadurch vereinzelt ganz zum Erliegen.

Nach Auffassung des ORH muss die Rechnungsprüfung grundsätzlich Vorrang haben. Die Landräte haben einen ordnungsgemäßen Vollzug der Prüfungsaufgaben sicher­zustellen.

16.2.3 Regierungen führen die Aufsicht unzureichend

Die Regierungen haben darüber zu wachen, dass die Rechnungsprüfungsstellen ordnungsgemäß, zeitnah und wirksam prüfen.[36] Sie haben u. a. die Aufgaben,

  • bei größeren Rückständen mit dem Landratsamt Kontakt aufzunehmen, eine Niederschrift über die Gründe zu fertigen und diese dem Innenministerium zuzu­leiten sowie
  • zusätzliche Aufgaben der Rechnungsprüfer zu genehmigen.

Der ORH hat festgestellt, dass den Regierungen die Rückstände und deren Ursachen aufgrund der vorgelegten Tätigkeitsberichte weitgehend bekannt sind. Die Versuche der Regierungen, z. B. durch die Anforderung von Konzepten zum Abbau von Prü­fungsrückständen und durch die Anmahnung der Nachbesetzung von Prüferstellen, eine zeitnahe Prüfung zu sichern, waren nur teilweise erfolgreich. Sie duldeten auch, dass einige Rechnungsprüfungsstellen ohne Genehmigung prüfungsfremde Aufga­ben wahrgenommen haben.

Nach Auffassung des ORH hätten die Regierungen die Aufsicht konsequenter aus­üben müssen. Insbesondere im Fall von Rückständen hätten sie die Zuweisung an­derer Aufgaben unterbinden müssen.

16.2.4 Unzureichende Prüfungsansätze

Nach den Feststellungen des ORH werden mit großem Aufwand Daten zur Finanz­lage erhoben; sehr umfangreich sind auch die Ordnungsmäßigkeitsprüfungen. Da­gegen werden Prüfungen zur Wirtschaftlichkeit und zum Personalbedarf nur verein­zelt durchgeführt.

Nach Auffassung des ORH werden aufgrund der fehlenden inhaltlichen Prüfungs­planung wesentliche Prüfungsthemen unzureichend geprüft. Auffallend war dies vor allem für die Bereiche Organisation, Personalwesen, IT und die Vergabe von Liefer- und Bauleistungen. Das für diese Prüfungsansätze notwendige breitgefächerte Spe­zialwissen kann von dem einzelnen Prüfer in der Rechnungsprüfungsstelle kaum vorgehalten werden. Seit Jahren werden die Prüfungsbeamten mit außerordentlich hohem Aufwand im kaufmännischen Rechnungswesen fortgebildet. Die notwendige Fortbildung in anderen Bereichen ist dagegen nicht ausreichend. In den bestehen­den Strukturen ist eine Qualifizierung auf bestimmte Themen wenig effizient.

16.2.5 Zersplitterte Aufbauorganisation erschwert den Personaleinsatz

Die 71 Rechnungsprüfungsstellen bei den Landratsämtern sind eigenständige Orga­nisationseinheiten. Aufgrund ihrer geringen Größe wird die Kontinuität der Rech­nungsprüfung bereits durch kurzfristige Ausfälle beeinträchtigt. Weil nicht immer ausreichend geeignetes Personal zur Verfügung steht, werden ausscheidende Prüfer teilweise nicht oder nur zögerlich ersetzt. Vereinzelt wird auch nicht ausreichend qualifiziertes oder wenig erfahrenes Personal für den Prüfdienst bestellt.

Nach Auffassung des ORH ist die zersplitterte Aufbauorganisation eine wesentliche Ursache dafür, dass die überörtliche Prüfung nicht ordnungsgemäß, zeitnah und wirksam erfolgt.

16.2.6 Gemeinden mit über 5.000 Einwohnern und kaufmännischem Rechnungswesen dem Kommunalen Prüfungsverband zuweisen

Das Innenministerium hat bei der Zuweisung von Gemeinden an den Kommunalen Prüfungsverband den Umfang und die Schwierigkeit der Prüfungsaufgaben zu be­rücksichtigen. Weil größere Gemeinden nur mit hohem Aufwand zu prüfen sind, sind Kommunen mit mehr als 5.000 Einwohnern in der Regel dem Kommunalen Prüfungs­verband zuzuweisen.[37]

In Bayern sind dennoch insgesamt 130 Kommunen mit mehr als 5.000 Einwohnern nicht Mitglied des Kommunalen Prüfungsverbandes.

Der ORH hält es für geboten, dass sich das Innenministerium stärker am Gesetz orientiert, wonach Gemeinden mit über 5.000 Einwohnern dem Kommunalen Prü­fungsverband zugewiesen werden sollen. Umfang und Schwierigkeit der Prüfungs­aufgaben übersteigen in diesen Fällen häufig die Möglichkeiten der Rechnungs­prüfungsstellen. Dies gilt im Übrigen auch für Kommunen mit kaufmännischem Rech­nungswesen.

16.3 Folgerungen und Empfehlungen des ORH

Angesichts der Probleme und Mängel der derzeitigen Prüfungsorganisation empfiehlt der ORH, die gesetzlichen Bestimmungen zur Kommunalprüfung zeitnah zu ändern. Es sollte für die überörtliche Prüfung eine einheitliche Prüfungszuständigkeit ge­schaffen und diese beim Kommunalen Prüfungsverband konzentriert werden. Da­durch würde die überörtliche Prüfung insgesamt deutlich effektiver und effizienter:

  • Der Kommunale Prüfungsverband verfügt über eine breitgefächerte Fach- und Methodenkompetenz, um den komplexer gewordenen Anforderungen gerecht zu werden.
  • Die Aufgaben der Rechnungsprüfung und der Kommunalaufsicht wären auch organisatorisch klar voneinander abgegrenzt.
  • Die Prüfungsaufgaben würden einheitlich wahrgenommen und die Regierungen entlastet werden.

Bis zur vollständigen Umsetzung dieses Vorschlags sollten in einem ersten Schritt Gemeinden mit über 5.000 Einwohnern sowie mit kaufmännischem Rechnungs­wesen dem Kommunalen Prüfungsverband als Mitglied zugewiesen werden. Dies wäre auch ohne gesetzliche Änderung möglich.

16.4 Stellungnahme des Innenministeriums und Schlussbemerkung des ORH

Das lnnenministerium hat angekündigt, die Empfehlung des ORH aufzugreifen. Es will versuchen, die Prüfungszuständigkeit beim Kommunalen Prüfungsverband zu konzentrieren. Dies lasse sich aber wegen des erforderlichen Aufbaus von Kapazi­täten beim Kommunalen Prüfungsverband und der Notwendigkeit von Rechtsände­rungen nicht in einem Schritt umsetzen.

Das Innenministerium will rasch erste Verbesserungen erreichen. Es plane, 2011 alle Gemeinden über 5.000 Einwohner einschließlich der Verwaltungsgemeinschaften, denen sie angehören, die von ihnen mitverwalteten Zweckverbände und Stiftungen und die Gemeinden mit kaufmännischem Rechnungswesen dem Kommunalen Prü­fungsverband zuzuweisen.

Anschließend sollen auch die übrigen Gemeinden dem Kommunalen Prüfungsver­band zugewiesen werden. Hierzu müsse aber mit diesem ein Zeitplan abgestimmt und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 PrVbG entsprechend geändert werden.

Der ORH begrüßt, dass das Innenministerium seine Empfehlungen aufgreifen will und entsprechende Maßnahmen angekündigt hat. Für die Umsetzung der einzel­nen Schritte muss das Innenministerium bei den betroffenen kommunalen Spitzen­verbänden wohl noch Überzeugungsarbeit leisten. Nach Auffassung des ORH sollte dies auch gelingen, weil es insbesondere im vitalen Interesse der Kommunen selbst liegt, wenn die überörtliche Rechnungsprüfung effektiv, gleichmäßig und sachbezo­gen ausgeübt wird.

 


[32] Nach der Verordnung über Benutzungsgebühren für die Inanspruchnahme der Staatlichen Rech­nungsprüfungsstellen der Landratsämter (RPrGV) vom 01.01.1983.
[33] Art. 105 Gemeindeordnung.
[34] Verordnung über das Prüfungswesen zur Wirtschaftsführung der Gemeinden, der Landkreise und der Bezirke (KommPrV) vom 01.01.1983
.[35] VV zu §§ 9 und 10 KommPrV (VVKommPrV vom 26.11.1981, MABl 1981, S. 740).
[36] § 10 Abs. 4 KommPrV und VV Nrn. 7 bis 15 zu §§ 9 und 10 KommPrV.
[37] Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzes über den Kommunalen Prüfungsverband - PrVbG.