TNr. 16: Ohne Not am Landtag vorbei

Das Kultusministerium hat den staatlich anerkannten Organisationen der Erwachsenenbildung mit Einwilligung des Finanzministeriums im Jahr 2009 zusätzlich 1 Mio. € als überplanmäßige Mittel bereitgestellt. Die Voraussetzungen für diese "Notbewilligung" lagen nicht vor. Tatsächlich gingen die Bildungsleistungen erheblich zurück.
Mit dieser Verfahrensweise wurde das Budgetrecht des Landtags umgangen.
Der ORH prüft derzeit mit dem Staatlichen Rechnungsprüfungsamt Regensburg bei staatlich anerkannten Organisationen der Erwachsenenbildung[1] das Förderverfahren sowie die Verwendung der Mittel. Im Rahmen dieser Prüfung fiel auf, dass im Jahr 2009 für diese Förderung 1 Mio. € überplanmäßige Mittel bereitgestellt wurden. Der ORH hat untersucht, ob die Bereitstellung dieser zusätzlichen Mittel notwendig war.
16.1 Ausgangslage
Der Staat fördert auf der Grundlage des Gesetzes zur Förderung der Erwachsenenbildung von 1974 (EbFöG) die allgemeine Erwachsenenbildung durch finanzielle und sonstige Leistungen. Die Höhe der staatlichen Zuschüsse richtet sich nach dem vom Landtag beschlossenen Haushalt. Sie werden vom Kultusministeriumbewilligt und an die anerkannten Organisationen auf der Grundlage der gemeldeten Teilnehmerdoppelstunden verteilt.
16.2 Mittelzuweisung 2009
Für das Jahr 2009 waren im Haushalt für die allgemeine Erwachsenenbildung 17 Mio. € vorgesehen. Am 12.06.2009 beantragte das Kultusministerium beim Finanzministerium die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe in Höhe von 1 Mio. €. Es begründete dies damit, dass aufgrund der überraschend schlechten gesamtwirtschaftlichen Lage und der dadurch verursachten steigenden Anzahl von Arbeitslosen und Kurzarbeitern eine stark erhöhte Nachfrage nach Angeboten der allgemeinen Erwachsenenbildung bestehe. Das Finanzministerium stimmte daraufhin der beantragten Haushaltsüberschreitung zu. Die entsprechende Einsparung wurde vom Kultusministerium bei den Ausgaben für die Lernmittelfreiheit - Zuweisungen an Zweckverbände (Kap. 05 03 Tit. 637 88) erbracht. Der Landtag wurde entsprechend Art. 37 Abs. 4 BayHO am 01.09.2009 informiert. Die überplanmäßigen Mittel wurden an die sieben Organisationen ausgereicht.
Auf Anfrage des ORH erklärte das Kultusministerium diese Notmaßnahme damit, dass die "stark erhöhte Nachfrage nach Angeboten der allgemeinen Erwachsenenbildung" auf der Einschätzung der wirtschaftlichen Situation im Frühjahr 2009 beruht habe. Danach sei erwartet worden, dass sich die Zahl der Arbeitslosen beträchtlich erhöhen und die wirtschaftliche Situation in der zweiten Jahreshälfte einschneidend verschlechtern werde. Mit der Bereitstellung zusätzlicher Mittel sollten die staatlich geförderten Einrichtungen in die Lage versetzt werden, zusätzliche Bildungsangebote in ihr Programm aufzunehmen. Gleichzeitig sollten damit Bürger ermuntert werden, Angebote der Erwachsenenbildung wahrzunehmen.
Weiter verwies das Kultusministerium auf ein vorangegangenes Gespräch zwischen dem Ministerpräsidenten und Vertretern der Erwachsenenbildung, zu dem Einzelheiten und damit auch eventuelle Überlegungen hinsichtlich des Bedarfs von 1 Mio. € nicht bekannt seien.
16.3 Feststellungen des ORH
Überplanmäßige Mittel darf die Verwaltung nur ausnahmsweise und nur mit Einwilligung des Finanzministeriums im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses ausreichen. An die Ausübung dieses Notbewilligungsrechts der Verwaltung ist ein strenger Maßstab anzulegen. Ob die Voraussetzungen vorliegen, ist vom Kultusministerium vorher in sachlicher und zeitlicher Hinsicht zu prüfen und in dem Antrag an das Finanzministerium zu begründen. Unabweisbar sind Haushaltsüberschreitungen nur dann, wenn sie in sachlicher Hinsicht unbedingt notwendig und in zeitlicher Hinsicht unaufschiebbar sind (Art. 37 BayHO).
Eine konkrete Bedarfsermittlung konnte das Kultusministerium jedoch nicht vorlegen. Die Frage, wie stark sich die Nachfrage nach Angeboten der Erwachsenenbildung erhöht hat oder wie und von wem diese erhöhte Nachfrage ermittelt worden ist, konnte ebenfalls nicht beantwortet werden. Es bestand bei den geprüften Organisationen auch kein finanzieller Engpass. So stellte der ORH fest, dass z. T. beachtliche Liquiditätsreserven bzw. Rücklagen vorhanden waren. Bei einer Organisation sind diese in den Jahren 2004 bis 2009 von rd. 120.000 auf über 800.000 € angewachsen.
Ein Vergleich der Entwicklung der staatlichen Zuschüsse und der angebotenen Bildungsleistung zeigt, dass auf der einen Seite die staatlichen Zuschüsse von 2004 bis 2009 zwar gestiegen, auf der anderen Seite die Bildungsleistungen aber im gleichen Zeitraum zurückgegangen sind (s. Abbildungen 5 und 6). Trotz überplanmäßiger Mittel in 2009 ging die Bildungsleistung in diesem Jahr sogar überproportional um über 550.000 Teilnehmerdoppelstunden zurück.
16.4 Stellungnahme des Kultusministeriums
Vor dem Hintergrund der dramatischen Einschätzung der wirtschaftlichen Lage im Frühjahr 2009 sei es notwendig gewesen, für die Erwachsenenbildung zusätzliche Mittel bereitzustellen. Darüber hinaus sollte auch dem sich abzeichnenden Rückgang der Teilnehmerdoppelstunden entgegengewirkt werden. Es sei zu erwarten gewesen, dass die Unsicherheit um den Arbeitsplatz und der Rückgang kommunaler Fördermittel sowohl zu weniger Teilnehmerdoppelstunden als auch zu einem zurückgehenden Bildungsangebot führen würden. Erfreulicherweise hätten sich die Folgen der Wirtschaftskrise nicht wie befürchtet entwickelt. Auch die befürchtete stärkere Notwendigkeit von zusätzlichen Bildungsangeboten für eine hohe Zahl von Menschen ohne Beschäftigung sei nicht eingetreten. Wenn dies im Nachhinein so feststellbar sei, bedeute dies nicht, dass die Lage im Jahr 2009 unangemessen oder nicht den damaligen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechend eingeschätzt worden sei.
Im Übrigen seien die Rücklagen eines Zuwendungsempfängers im Jahr 2011 durch Ausschüttungen um annähernd 45 % reduziert worden.
Auch sei durch die überplanmäßige Förderung der Haushalt nicht zusätzlich belastet worden, da die Mittel an anderer Stelle eingespart werden konnten. Außerdem habe der Landtag 2010 den Haushaltsansatz zur Förderung der Erwachsenenbildung um 1,3 Mio. € erhöht und damit das im Jahr 2009 einschließlich der überplanmäßigen Ausgabe erreichte Förderniveau bestätigt. Dies sei ein Indiz dafür, dass die Erhöhung der Förderung im Jahr 2009 gerechtfertigt war.
16.5 Schlussbemerkung des ORH
Überplanmäßige Mittel in Höhe von 1 Mio. € waren nicht erforderlich. Gründe für eine unaufschiebbare Notmaßnahme lagen erkennbar nicht vor. Die haushaltsrechtlich zwingend erforderliche Bedarfsprüfung ist unterblieben. Auch die gegenüber dem Finanzministerium abgegebene Begründung des Kultusministeriums, es würde eine stark erhöhte Nachfrage nach Angeboten der allgemeinen Erwachsenenbildung bestehen, konnte das Kultusministerium nicht belegen. Die Begründung beruhte auf vagen Einschätzungen und Erwartungen zur wirtschaftlichen Entwicklung und Situation am Arbeitsmarkt sowie der Nachfrage nach Angeboten der allgemeinen Erwachsenenbildung.
Weder die Situation auf dem Arbeitsmarkt noch die Entwicklung der Erwachsenenbildung lieferten aus Sicht des ORH ausreichende Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der überplanmäßigen Ausgabe: So verzeichnete Bayern nach der Statistik des Arbeitsministeriums im März 2009 eine Arbeitslosenquote von 5,2 %. Diese nahm im weiteren Verlauf deutlich ab und betrug zum Zeitpunkt der Antragstellung der überplanmäßigen Ausgabe ‑ im Juni 2009 ‑ noch 4,7 %.
Bei der Antragsbegründung für die überplanmäßige Ausgabe und der anschließenden Bewilligung blieben außerdem die bei den Organisationen der Erwachsenenbildung vorhandenen Rücklagen bzw. Liquiditätsreserven unberücksichtigt. Bei einer Prüfung der finanziellen Leistungskraft der Zuwendungsempfänger wäre erkennbar gewesen, dass dort keine Situation herrschte, die eine Notbewilligung gerechtfertigt hätte.
[1] Staatlich anerkannt sind: Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Erwachsenenbildung in Bayern,Bayerischer Volkshochschulverband, Katholische Landesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung in Bayern, Bildungswerk des Bayerischen Bauernverbandes, Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft,Bildungswerk der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft in Bayern, Bildungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes.